Die Interaktion zwischen Menschen und (computergestützten) Maschinen gehört inzwischen fast ausnahmslos zum Alltag. Dabei gibt es einerseits Bereiche, in denen eine gute Interaktion einfach komfortabel ist, wie bei Smartphone Apps, andererseits kann Interaktion auch die Sicherheit von Patient*innen beeinflussen, wie im Gesundheitswesen. Dieser Blog-Artikel des Fraunhofer IESE stellt das Themenfeld MCI (Mensch-Computer-Interaktion) vor und wendet sich anschließend den besonderen Herausforderungen von MCI hinsichtlich Bedienbarkeit und Benutzbarkeit unter verschiedenen Zielsetzungen im Gesundheitswesen zu. Dabei legen wir einen Fokus auf das User Interface und stellen heraus, wie die fehlerfreie Nutzung von Tools von der Technikakzeptanz und vom Design beeinflusst werden kann.
Was bedeutet MCI, UX und UI?
Die Mensch-Computer-Interaktion (MCI; englisch »Human-Computer-Interaktion«, HCI) setzt sich aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen (z.B. Informatik, Psychologie, Soziologie) zusammen und untersucht, wie Menschen und Computer interagieren. User Experience Design (UX Design) ist eine Teildisziplin der HCI und befasst sich mit der Gestaltung der Nutzererfahrung. Dabei wird die gesamte Erfahrung von Nutzer*innen bei der Interaktion mit (digitalen) Produkten vom visuellen Design über die Bedienbarkeit bis hin zu emotionalen Reaktionen beschrieben [1]. Die tatsächliche Interaktion zwischen Menschen und Computern findet über das sogenannte »User Interface« (UI; deutsch »Benutzeroberfläche«) statt. Egal ob im Auto, am Smartphone, Fernseher oder bei der Arbeit am Computer – wir sind nahezu den ganzen Tag umgeben von Benutzeroberflächen, mit denen wir interagieren. Aber wieso gelingt dies mit einigen Oberflächen besser als mit anderen? In einigen Apps oder Programmen findet man sich direkt zurecht, empfindet sie als intuitiv, wohingegen man in anderen vergebens nach der richtigen Auswahlmöglichkeit sucht.
User Experience Design verfolgt einen nutzerzentrierten Ansatz, bei dem die Probleme und Bedürfnisse der Nutzer*innen im Mittelpunkt des Entwicklungsprozesses stehen [2]. Diese Nutzergruppen können je nach Produkt jedoch sehr unterschiedlich sein oder auch innerhalb dieser Gruppen unterschiedliche Bedürfnisse mitbringen. So wird innerhalb bestimmter Altersbereiche eine größere Schrift oder eine bildliche Darstellung benötigt. Einige Nutzer*innen können mit fachspezifischem Vokabular arbeiten, andere brauchen eine allgemeinere Formulierung. Zudem spielt der Kontext der Nutzung eine wichtige Rolle. Wird das Produkt am Computer oder auf dem Smartphone verwendet, zu Hause oder im Zug? Eine gute User Experience und ein nutzerfreundliches Interface hängen demnach maßgeblich von den Kenntnissen über die Nutzer*innen und deren Kontext ab.
Herausforderungen von Mensch-Computer-Interaktion im Gesundheitswesen
Mensch-Computer-Interaktion im Bereich des Gesundheitswesens findet praktisch auf allen Ebenen und in allen Schritten von medizinscher Versorgung und Behandlung statt. Verschiedene Beispiele, inklusive ihres jeweiligen Anwendungsfalls, zeigen dabei die unterschiedlichen Herausforderungen:
- Geräte für Point-of-Care-Diagnostik erfordern eine schnelle, sichere und intuitive Bedienbarkeit sowie eine sichere und unmissverständliche Ablesbarkeit von Diagnoseergebnissen. Nur so ist aus Sicht des Anwendungsfalls gewährleistet, dass einerseits schnell und verlässlich für Therapieentscheidungen notwendige Daten erzeugt werden können und andererseits diese Daten nicht missverstanden oder falsch interpretiert werden.
- Bei der Entwicklung von Strahlentherapiegeräten liegt die Herausforderung der MCI beispielsweise im sicheren Ausschluss von fehlerhaften Einstellungen zur Bestrahlungsdosis und -dauer. Passieren hier Fehler, kann dies zu erheblichen Nachteilen für die behandelte Person führen. An dieser Stelle reicht z. B. schon das zu späte Lösen einer Maustaste, die Einfluss auf den im User Interface dargestellten grafischen Schieberegler (für Dosis und Dauer) hat.
- Krankenhausinformationssysteme (KIS – Dokumentation aller Aktivitäten an Patient*innen) bedürfen einer hohen Effizienz bei der Dokumentation aller medizinischen und pflegerischen Aktivitäten an Patient*innen, d. h. ein einfaches und unkompliziertes Erfassen von Diagnosen, Befunden, Therapien und weiteren Informationen.
Neben den spezifischen Herausforderungen einer jeden Anwendung gibt es aber auch allgemeine Schwierigkeiten, die in Betracht gezogen werden müssen. Im Gesundheitswesen werden Anwendungen und Programme von den verschiedensten Anwender*innen, einer breiten Altersgruppe mit uneinheitlicher Medienkompetenz, bedient. Diese heterogene Nutzergruppe sowie bestehende Prozesse müssen beim Designprozess berücksichtigt werden, um eine fehlerfreie und schnelle Bedienung zu ermöglichen.
Mensch-Computer-Interaktion im Gesundheitswesen und Technikbereitschaft
Systeme und Geräte im Gesundheitswesen sind – wie die vorherige Beschreibung verdeutlichte – auf intuitiv zu bedienende Benutzeroberflächen angewiesen, um schnell und möglichst vollständig jegliche relevanten Daten erfassen und für zum Teil lebenswichtige Entscheidungen gezielt nutzen zu können. Mangelnde Bedienbarkeit, bspw. durch unintuitives Design, kann eine erste Hemmschwelle sein, sich mit einem neuen System oder einer neuen Technik vertraut zu machen. Damit ist das Design nur einer von verschiedenen Faktoren, die maßgeblichen Einfluss auf die Bereitschaft haben, neue Anwendungen und Techniken zu nutzen. In diesem Zusammenhang spricht man von Technikbereitschaft. Dabei sind auch Persönlichkeitsmerkmale, wie die Technikkompetenzüberzeugung, relevant [3]. Technikbereitschaft kann sich dabei auf Alltagstechnologien beziehen (Smart-TV, Smartphone etc.), aber auch auf beruflich nutzbare technische Tools (z. B. KI-basierte Entscheidungsunterstützungssysteme, spezifische Softwaremodule) adaptiert werden.
Im beruflichen Setting kann eine hohe Technikbereitschaft in vielen Branchen ein Wettbewerbsvorteil sein, da sie es Individuen und Organisationen ermöglicht, auf dem neuesten Stand der Technik zu bleiben und die neuesten Tools und Trends zu nutzen. Technikbereitschaft von Individuen kann durch gezielte Maßnahmen verbessert werden, jedoch durch mangelhafte Prozessumsetzung auch beschädigt werden. Resultat einer Steigerung der Technikbereitschaft kann auch eine Verbesserung der Arbeitssicherheit und der Arbeitseffizienz sein. Unabhängig von Privat- und Berufsleben: Die Implementierung solcher Applikationen im Leben der betroffenen Menschen ist primär dann erfolgreich, wenn auch eine tatsächliche Nutzung stattfindet. Im besten Fall ist die Nutzung intrinsisch motiviert und wird im Nachhinein positiv bewertet. Diese Motivation kann erzielt werden, wenn verschiedene Voraussetzungen zutreffen: Es werden tatsächliche Probleme der Menschen gelöst und die Anwendung wird als nützlich empfunden. Außerdem ist die Nutzung möglichst intuitiv. Weitere Faktoren, wie das Image eines Produkts, einer Technologie oder einer Marke, sind ebenso zu betrachten wie die Freiwilligkeit, die Vorerfahrung der Nutzer*innen und die Ergebnisqualität der verwendeten Lösungen [4]. Die Technikbereitschaft der betreffenden Zielgruppen sollte spezifisch bestimmt werden, um Entwicklung und Implementierung zielgerichtet zu gestalten. Dies gilt insbesondere dort, wo sogenannte High-Responsibility-Teams in komplexen Situationen irreversible Entscheidungen treffen und dabei verstärkt auf unterstützende Technologien angewiesen sind. Ein weiteres Beispiel sind damit auch Einsatzleitsysteme für die Notfallversorgung und die Rettungswissenschaften. Beispielsweise sind Integrierte Leitstellen für Feuerwehr und Rettungsdienst hoch technologisierte Arbeitsbereiche, in denen schnelle, sichere und möglichst genaue menschliche Entscheidungen im Vordergrund stehen. Darüber haben wir im Blog-Beitrag zu unserem Projekt SPELL berichtet.
Fazit
Mensch-Computer-Interaktion besitzt auf allen Ebenen im Gesundheitswesen eine hohe Relevanz. Neben allgemeinen Anforderungen an die MCI bestehen in vielen Teilbereichen situationsbezogene besondere Anforderungen, um den jeweils komplexen Herausforderungen zu begegnen. Gerade im Gesundheitswesen und in der Notfallversorgung ist es entscheidend, neue Anwendungen besonders effizient nutzbar und darüber hinaus interoperabel zu konzipieren und zu entwickeln. Dazu gehört unter anderem ein angepasstes und durchdachtes Designkonzept, welches sich möglichst nahtlos in bestehende Prozesse einfügt. So wird Technikakzeptanz gefördert und Risiken zur Fehlbedienung von Geräten und Systemen für Patient*innen werden minimiert.
Sie wollen mehr zum Thema Human-Machine-Interaction und User Experience im Gesundheitswesen erfahren oder sich austauschen? – Dann kontaktieren Sie uns gerne!
Literatur
[1] Pitale A, Bhumgara A. Human Computer Interaction Strategies—Designing the User Interface. In2019 International Conference on Smart Systems and Inventive Technology (ICSSIT) 2019 Nov 27 (S. 752-758). IEEE.
[2] Wang R, Zhang X, Yang D. Research on user experience design consistency of internet products based on user experience. InJournal of Physics: Conference Series 2020 Jun 1 (Vol. 1549, Nr. 3, S. 032059). IOP Publishing.
[3] Neyer FJ, Felber J, Gebhardt C. Development and validation of a brief measure of technology commitment. Diagnostica. 2012;58(2):87-99.
[4] Jayasingh S, Eze UC. The role of moderating factors in mobile coupon adoption: An extended TAM perspective. Communications of the IBIMA. 2010 Jan 1.