»Leben ist Veränderung« – und von ganz besonders rasanten Veränderungen ist zurzeit die Arbeitswelt geprägt. Krisenzeiten wie wir sie aktuell erleben verdeutlichen nur zu gut, welch besonderen Stellenwert anpassungsfähige Unternehmen aktuell innehaben. Denn wer sich aufgrund moderner Arbeitsmethoden und flexibler Kollaborationsmodelle trotz der Krise am Weltgeschehen beteiligen und auf dem Wirtschaftsmarkt behaupten kann, erfährt große Vorteile. Im Interview erklärt Susanne Braun, Projektleiterin »Digitale Teams« am Fraunhofer IESE, welche Chancen »New Work« im Allgemeinen und insbesondere in Krisensituationen bietet.
Das Projekt »Digitale Teams«:
Im Projekt »Digitale Teams« beschäftigt sich das Team um Susanne Braun mit digitalen Lösungen zur Ermöglichung neuer, flexibler Arbeitsmodelle.
Der Fokus des Fraunhofer IESE liegt hierbei auf der Konsortialführung sowie der Konzeption und Entwicklung diverser Smart Services und Big Data Analytics. Des Weiteren unterstützt das IESE verschiedene Anwendungspartner bei der effektiven und effizienten Zusammenarbeit in agilen virtuellen Teams.
Unsere Konsortialpartner im Projekt »Digitale Teams«:
Insiders Technologies | Microsoft Deutschland | AviloX | Institut für Technologie und Arbeit; gefördert durch das BMWi
Mehr Infos zum Projekt »Digitale Teams«: www.digitale-teams.de
Welche Chancen bietet »New Work« im Allgemeinen?
New Work bietet vor allem im Zusammenhang mit Wissensarbeit sehr große Chancen. Experten schätzen, dass der Anteil der Wissensarbeiter in Deutschland zwischen 40 % und 70 % liegt; Tendenz steigend. Mit New Work können Wissensarbeiter künftig zeitlich und örtlich sehr viel flexibler arbeiten. Die Digitalisierung macht das zeit- und ortsungebundene Arbeiten in verteilten Teams bereits möglich. Für viele Arbeitnehmer geht dies mit einer deutlich besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben einher. Damit erhoffen wir uns insbesondere auch eine Wiederbelebung des ländlichen Raumes.
Steigende Auflagen von Zeitschriften wie »Landlust« verdeutlichen, dass vor allem unter den jungen Menschen eine gewisse Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land herrscht. Leider zieht spätestens der erste Job jedoch viele junge Menschen in die Großstadt. New Work könnte diesen Trend endgültig brechen.
Deutschland verzeichnete in den letzten Jahrzehnten eine stetige Zunahme an Pendelverkehr. Dadurch entstehen sehr viele klimaschädliche Emissionen. Könnten mehr Menschen einfach jederzeit von zu Hause oder vom nächsten Coworking-Space aus arbeiten, so würde New Work einen erheblichen Teil dieser klimaschädlichen Emissionen einsparen und einen signifikanten Beitrag zur Bewahrung unserer Erde leisten.
Aber nicht nur die Arbeitnehmer und die Natur profitieren. Auch der Arbeitgeber hat Vorteile: Einsparungen bei Immobilienkosten beispielsweise, die Möglichkeit der Gewinnung und langfristigen Bindung von Fachkräften, die nicht in der Region des Arbeitgebers leben, sowie die Steigerung der Arbeitgeberattraktivität durch das Angebot flexibler Arbeitsmodelle. KMUs in ländlichen Regionen sowie Start-ups können von New Work somit stark profitieren.
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Chancen von »New Work« in Krisensituationen (z. B. in der Corona-Krise) erfolgreich zum Tragen kommen?
Gerade in Zeiten von »Social Distancing« sind diejenigen Arbeitgeber im Vorteil, die flexible Arbeitsmodelle im eigenen Unternehmen bereits erfolgreich eingeführt haben. Im Idealfall hat jeder Arbeitnehmer einen professionell eingerichteten Arbeitsplatz im eigenen Heim oder in einem Coworking-Space. Im Unternehmen gibt es die notwendigen Tools und eine entsprechende Kultur, die es den Teams ermöglichen, eigenverantwortlich und selbstorganisiert Projekte durchzuführen. Die Teams verfügen über eigene Best Practices und Kommunikationsregeln, sodass die Entwicklung von innovativen Lösungen auch über die Distanz möglich ist, doppelte Informationspolitik vermieden werden kann, sich alle Teammitglieder unabhängig vom Arbeitsort gleichermaßen gut in das Projekt einbringen können und außerdem dafür Sorge tragen, dass die soziale Interaktion (Stichwort: Teamgeist) nicht zu kurz kommt.
Der Arbeitgeber muss außerdem Maßnahmen treffen bzw. getroffen haben, um seiner Fürsorgepflicht entsprechend nachzukommen. Nicht jeder Arbeitnehmer kann mit der durch New Work entstehenden Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben gleichermaßen gut umgehen.
Grundsätzlich glaube ich, dass in Krisenzeiten, wie wir sie dieser Tage erleben, erstmal vieles möglich ist. Die meisten Wissensarbeiter können anscheinend problemlos für einen überschaubaren Zeitraum von zu Hause arbeiten, um diese besondere Phase zu überbrücken. Um allerdings dauerhaft innovative Lösungen in verteilten Teams zu entwickeln, bedarf es deutlich mehr. Die dauerhafte Etablierung von New Work erfordert ein ganzheitliches Vorgehen, das viele verschiedene Aspekte berücksichtigt. Einige Punkte habe ich zuvor bereits kurz angerissen.
Können Krisen wie die Corona-Krise dazu führen, dass Methoden aus »New Work« (z. B. das Arbeiten über digitale Kollaborationstools) auch bei konservativen Unternehmen ein neues Maß an Akzeptanz erfahren?
Ja, auf jeden Fall. In Deutschland gibt es leider immer noch eine sehr ausgeprägte Präsenzkultur. Daher betrachten wir die aktuelle Situation – so traurig sie ist – auch als große Chance für neue Arbeitsformen. Sehr viele Menschen machen zurzeit die Erfahrung, dass es eben doch nicht für jedes Meeting, für jede Konferenz usw. notwendig ist, anstrengende und zeitraubende Dienstreisen in Kauf zu nehmen. Es ist sogar mehr oder weniger erwiesen, dass sich ständiges Pendeln negativ auf die Gesundheit auswirkt. In jedem Fall wirkt es sich negativ auf das Klima aus.
Es ist übrigens auch ein Trugschluss zu glauben, dass nur die vermeintlich konservativen Unternehmen nicht offen für New Work seien. Wir haben in der Vergangenheit Interviews mit Behördenvertretern geführt. Oft wird diesen ja eine gewisse Behäbigkeit unterstellt. In Bezug auf New Work gaben uns die Vertreter jedoch sehr positives Feedback. So berichteten sie zum Beispiel, dass die Produktivität der Kolleginnen und Kollegen nach der Einführung mobiler Arbeit deutlich angestiegen sei – New Work sei dank!
Das Interview führte Jasmin Awan.
Mitarbeiterin in der Abteilung UKTM des Fraunhofer IESE.
FRAUNHOFER VS. CORONA
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