Digitale Zwillinge als neue Lösung für die Landwirtschaft: In der digitalen Landwirtschaft ist der übergreifende Austausch von Daten und Diensten immer noch ein großes Problem. Wir schlagen daher vor, ein grundlegend neues Konzept über bestehende Datenstandards und -formate zu legen, ohne diese dabei abzuschaffen: Digitale Zwillinge machen dies möglich.
Dazu präsentieren wir in diesem Artikel elementare Konzepte und gehen auf deren Vorteile und eine mögliche Realisierung im Rahmen der digitalen Landwirtschaft ein.
Was sind Digitale Zwillinge?
Digitale Zwillinge sind virtuelle Abbilder von Dingen aus der realen Welt, physischen wie nicht-physischen. Es können nicht nur Produkte, Maschinen oder komplette Produktionsanlagen mit Digitalen Zwillingen abgebildet werden, sondern auch Prozesse und Dienste. Dabei gibt es nicht die eine, allgemeingültige Definition eines Digitalen Zwillings, sondern kleine und große Unterschiede je nach konkreter Umgebung und auch nach Branche. Typisch für Digitale Zwillinge ist allerdings der bidirektionale Austausch von Daten zwischen echter Welt und virtueller Repräsentation. Ändert sich beispielsweise das reale Ding, soll diese Änderung in den Digitalen Zwilling gespiegelt und dort dargestellt werden. Umgekehrt kann eine am Digitalen Zwilling ausgeführte Arbeitsanweisung als konkreter Arbeitsschritt in der realen Welt umgesetzt werden. Eine Spezialform in diesem Kontext ist der Digitale Schatten, der »nur« einen Fluss von Daten aus der echten Welt hin zur digitalen Repräsentanz vorsieht und so eine Abbildung des Realen im Virtuellen bietet.
In der Produktionstechnik sind Digitale Zwillinge schon lange ein Begriff. Sie sind Teil der Konzepte der Plattform Industrie 4.0 und werden über die Steuerung einzelner Produktionsprozesse hinaus als Lösung für einen übergreifenden Informationsaustausch in Ökosystemen zwischen Herstellern, Zulieferern und Kunden gesehen.
Digitale Zwillinge für die Landwirtschaft
Auch wenn die Landwirtschaft mit ihren Geschäfts- und Arbeitsprozessen nicht Eins-zu-Eins mit der Umgebung aus Produktionsindustrien verglichen werden kann, lohnt es sich doch, dort etablierte Konzepte wie Digitale Zwillinge auf ihre Anwendbarkeit in der Landwirtschaft hin zu prüfen. Digitale Zwillinge sind prinzipiell für eine breite Reihe von Wirtschafts- und Produktionsgütern denkbar: vom virtuellen Abbild einer einzelnen Pflanze oder Milchkuh bis zum Acker oder Stall, von der digitalen Repräsentanz eines Umweltsensors über den einer Landmaschine bis hin zum gesamten Betrieb als »landwirtschaftliche Produktionsstätte«.
Im Rahmen des Fraunhofer-Leitprojekts Cognitive Agriculture (COGNAC) untersuchen wir unter anderem die Einsatzmöglichkeiten von Digitalen Zwillingen in der landwirtschaftlichen Produktion. Am Beispiel des »Digitalen Feldzwillings« möchten wir die Frage erörtern, ob Digitale Zwillinge in der Landwirtschaft ähnliche Erwartungen wie in der Industrie 4.0 erfüllen können. Konkret geht es uns dabei um den Digitalen Zwilling als mögliches Lösungskonzept für verbesserte Interoperabilität, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit digitaler Angebote.
Der Digitale Feldzwilling
Betrachtet man einen Ackerschlag als mögliches Einsatzgebiet für Digitale Zwillinge, könnte man sich dieses Szenario wie folgt vorstellen: Der Digitale Feldzwilling führt alle Informationsquellen zum realen Feld zusammen. Dazu gehören u.a. von Maschinen erfasste Arbeitsprozesse, aus Softwarelösungen übertragene Informationen, von Sensoren live erfasste Daten usw. Diese Informationen werden im Feldzwilling vorgehalten und können von Anwendungen und Landwirten genutzt werden. Dabei speichert der Digitale Feldzwilling einerseits Informationen ab und kann so eine Historie von Daten anbieten; andererseits bietet er aber auch eine Schnittstelle für den Zugriff auf aktuelle Sensordaten wie z.B. Satellitenbilder oder Wetterdaten. Der Feldzwilling ist in diesem Szenario als zentrale Komponente vorgesehen, die einen Ackerschlag repräsentiert und von beliebigen Akteuren und Personen genutzt werden kann – sofern dies vom Eigentümer bzw. Pächter des Ackerschlages erlaubt wird. So kann beispielsweise ein Farm-Management-Informationssystem (FMIS) ergänzend zur eigenen Datenhaltung auf Daten aus dem Feldzwilling zugreifen oder sogar komplett auf eine eigene Speicherung verzichten.
Datengewinnung und Datennutzung im Kontext des Digitalen Feldzwillings
Neben der reinen Bereitstellung von Daten steckt großes Potenzial im Angebot von erweiterten Abfragemöglichkeiten oder intelligenten Diensten, die auf den Daten im Feldzwilling basieren. Solche können z.B. häufige Anfragen bündeln oder auch auf Simulationen basierende Prognosen liefern, d.h. der Feldzwilling bietet auch selbst Dienste an.
Mehr als ein digitaler Schatten
Bisher zeigt das beschriebene Szenario große Überlappungen mit dem Konzept eines digitalen Schattens, da vornehmlich Daten zusammengeführt und zur Nutzung angeboten werden. Der umgekehrte Informationsfluss ist allerdings auch denkbar. Ein Beispiel ist das Auslösen von Feldbearbeitungen oder auch nur -analysen über den Digitalen Feldzwilling. So könnte ein Landwirt im FMIS einen Auftrag zur Zusammenstellung aller aktuell verfügbaren Statuswerte zu einem Ackerschlag im Feldzwilling auslösen, der dann von einem dem Feldzwilling zugeordneten Dienst ausgeführt wird und alle verfügbaren Daten in der Historie mit aktuellem Zeitstempel ablegt.
Daten und Dienste eines Digitalen Feldzwillings (Beispiel)
Im Folgenden führen wir einige Kernelemente Digitaler Zwillinge auf, die so auch für den Digitalen Feldzwilling umgesetzt werden können:
- Eindeutige digitale Repräsentanz: Ein Digitaler Feldzwilling beschreibt einen konkreten Ackerschlag mit allen Informationen, die für landwirtschaftliche oder nachgelagerte Prozesse benötigt werden. Einen Digitalen Feldzwilling gibt es wie seine reale Repräsentation nur einmal.
- Zusammenführung mehrerer, verschiedenartiger Datenquellen: Es werden nicht nur historische Zustände vorgehalten und angeboten ((»digitales Produktgedächtnis«), sondern auch aktuelle Sensorwerte zum Ackerschlag.
- Zentralisierter Zugriff über eine Datenplattform: Um einen übergreifenden Informationsaustausch im Digitalen Ökosystem zu ermöglichen, kann ein Digitaler Feldzwilling über eine digitale Datenplattform angeboten werden. So wird ein zentralisierter Zugriff auf Informationen realisiert, der diskriminierungsfrei genutzt und auch in externe Dienste integriert werden kann.
- Interoperabilität zwischen Systemen: Die eingeführte übergreifende Verfügbarkeit von Digitalen Zwillingen im Digitalen Ökosystem ist ein zentraler Befähiger für Interoperabilität zwischen Systemen. Ergänzend dazu wird mittels Technologien und Konzepten wie Triple-Store-Speichern, Vokabularen und Ontologien Interoperabilität auch zwischen verschiedenen Standards ermöglicht. Durch Verzeichnisdienste können Informationsinhalte und -umfänge flexibel abgefragt und genutzt werden.
- Erweiterbarkeit: Datenhaltung und Schnittstellen Digitaler Zwillinge können mit den bereits erwähnten Technologien flexibel und erweiterbar gestaltet werden. So wird das Konzept zukunftssicher.
- Komposition: Digitale Zwillinge können selbst aus mehreren Digitalen Zwillingen zusammengesetzt sein bzw. diese enthalten. Dies kann auch dynamisch geschehen. So können mehrere Digitale Feldzwillinge zu größeren Anbauflächen zusammengefasst werden oder auch Digitale Zwillinge von Sensoren oder Pflanzen beinhalten.
- Datensouveränität: In Digitalen Feldzwillingen kann ein Security Framework integriert werden, das verschiedene Levels von Datenschutz und -souveränität für Eigentümer oder Nutzungsberechtigte des realen Ackerschlags anbietet. Das Ziel ist einerseits die volle Kontrolle und Transparenz bei Datennutzung durch Dritte, andererseits aber auch die Förderung des Datenaustauschs. Eine für alle Beteiligten faire Datennutzung fördert die Bereitschaft zum Teilen von Daten und damit auch die Datenökonomie.
- Kognitive Funktionen für innovative Prozesse: Über das Angebot an Informationen hinaus bietet ein Digitaler Feldzwilling Algorithmen zur Beschreibung der realen Welt. Somit werden bspw. intelligente Aggregationen von Daten ermöglicht, aber auch Was-wäre-wenn-Simulationen und Prognosen über die zukünftige Entwicklung auf dem Ackerschlag.
Feldzwillinge im Digitalen Domänenökosystem Landwirtschaft
Im Fraunhofer-Leitprojekt COGNAC erforschen wir das digitale Domänenökosystem »Landwirtschaft«und entwickeln Konzepte für einen landwirtschaftlichen Datenraum, den Agricultural Data Space (ADS). Der ADS schafft die Basis für Digitale Ökosysteme entlang der gesamten landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette und kann durch eine Digitale Plattform verbunden werden, die ADS-Plattform. Zum Datenraum gehören Landwirt*innen mit ihren Betrieben, Maschinen und digitalen Anwendungen, Dienstleister mit landwirtschaftlichen oder digitalen Angeboten, Hersteller von Landmaschinen oder Produktionsmitteln mit eigenen Datenplattformen bis hin zum Einzelhandel und den Endkunden. In einem lebendigen Digitalen Ökosystem können diese Teilnehmenden Daten untereinander nutzen und darauf basierend gegenseitige Dienstleistungen anbieten.
Für Digitale Zwillinge wie den Feldzwilling stellt sich nun die Frage, wie diese im Datenraum genutzt werden können. Im Ökosystem existieren bereits viele Anwendungsfälle mit Bedarf an übergreifendem Informationsaustausch und einer steten Digitalisierung der Landwirtschaft. Ergänzend zeigt auch die zunehmende Bedeutung der Datenökonomie den klaren Trend zum weiteren Ausbau solcher Anwendungsfälle. Digitale Zwillinge können hier die Fähigkeiten anbieten, die solche Anwendungsfälle unterstützen oder sogar erst ermöglichen.
Datenplattformen als Heimat für Feldzwillinge im Digitalen Ökosystem
Bei der Frage, wie solche Digitalen Zwillinge konkret gestaltet, vorgehalten und dem ADS angeboten werden, können mehrere Wege möglich sein. Eine Möglichkeit ist die Umsetzung im Rahmen einer zentralen Datenplattform wie der ADS-Plattform. Die ADS-Plattform bietet den Feldzwilling über offene Schnittstellen zur Nutzung im Ökosystem an. Sie stellt dabei aber auch sicher, dass die Datensouveränität von Landwirt*innen oder weiterer, prinzipiell beliebiger Rollen mit legitimen Rechten an Daten, eingehalten wird. So könnten FMIS Daten in einem Feldzwilling nutzen, ohne sie selbst vorhalten zu müssen.
Die ADS-Plattform als neutrale Plattform für Interoperabilität und Datensouveränität
In unserer aktuellen Konzeption ist die ADS-Plattform eine neutrale Dienstleistung zur Bereitstellung von Diensten zur Speicherung und Bereitstellung von Digitalen Zwillingen, die jedoch selbst nicht über eigene Geschäftsmodelle im Bereich FMIS verfügt. Demzufolge können Daten im Feldzwilling auf der ADS-Plattform selbst auch nur eingeschränkt genutzt werden. Sie bietet allerdings umfangreiche Funktionalitäten zur Durchsetzung der Datensouveränität an: Ein Dashboard für Datensouveränität erlaubt detaillierte Einstellungen zur Steuerung von Zugriffsrechten auf Daten in Feldzwillingen und macht transparent, welche Daten von wem verwendet werden dürfen und wurden.
Anwendungsfälle für ein sicheres und interoperables Digitales Ökosystem
Die weiter oben aufgeführten Kernpunkte Digitaler Zwillinge in der Landwirtschaft und des Digitalen Feldzwillings im Besonderen stellen bereits einen Funktionsumfang dar, der weit über die reine Datenspeicherung hinausgeht. In den folgenden Beispielen skizzieren wir grundlegende und spezifischere Anwendungsmöglichkeiten für Feldzwillinge:
- Durch die Entkopplung von Datenhaltung und einzelnen Systemen – wie z.B. verschiedenen FMIS oder Maschinenplattformen – fließen Daten zu einem Ackerschlag in eine zentrale und eindeutige Komponente. So sind alle Daten an einem Ort und nicht fragmentiert über mehrere Systeme verteilt verfügbar. Umgekehrt ist es für all diese Systeme möglich, einen Feldzwilling als ergänzende oder alleinstehende gemeinsame Datenbasis zu nutzen.
- Durch offene und generische Schnittstellen können Feldzwillinge von beliebigen Softwarelösungen genutzt werden. Können Feldzwillinge z.B. auf vorhandene Sensorik im Feld zugreifen, können deren Daten über die Schnittstellen abgerufen werden, ohne die konkreten Sensoren verstehen oder ansteuern können zu müssen. Durch diese Unabhängigkeit können auch Sensoren oder beliebige Geräte getauscht werden, ohne dass auf sie zugreifende Applikationen geändert werden müssen.
- Neue, innovative Anwendungen können einfach und effizient umgesetzt werden, indem sie auf die existierende Dateninfrastruktur in Form der Feldzwillinge zugreifen. Das erleichtert z.B. Start-ups den Markteintritt und fördert Innovation in der Landwirtschaft.
- Pflanzenbauberater können aktuelle Sensorwerte ebenso einfach abrufen wie historische Applikations- und Erntedaten und so zielgenau und auf solider Datenlage Empfehlungen erstellen.
- Landwirt*innen können ihre Arbeitsprozesse einfacher und genauer planen, indem kognitive Funktionen in den Feldzwillingen Informationen und Algorithmen verknüpfen. So können beispielsweise mit aktuellen und historischen Daten gefütterte Prognosemodelle die optimalen Erntezeitpunkte vorhersagen, die u.a. Abreife- und Wetterprognosen für mögliche Erntetage beinhalten.
Möglichkeiten kognitiver Funktionen
Chancen für Digitale Zwillinge in der Landwirtschaft
Neben der konsolidierten, interoperablen Bereitstellung von Daten durch Digitale Zwillinge wie den Feldzwilling liegt insbesondere in den kognitiven Funktionen enormes Potenzial, um Prozesse in der Landwirtschaft zu vereinfachen und digitale Unterstützung punktgenau anbieten zu können. Die Einsatzmöglichkeiten und Funktionen Digitaler Zwillinge sind für die Landwirtschaft dabei praktisch unbeschränkt. Digitale Zwillinge müssen offen und flexibel gestaltet werden, um die dynamischen Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung der Landwirtschaft mitgehen zu können. Darin integrierte Konzepte, wie Verzeichnisdienste und Vokabulardienste, unterstützen dies.
Eine konkrete Realisierung ist technisch anspruchsvoll und wird die Domäne Landwirtschaft auf die Probe stellen, da gewohnte Prozesse und Architekturen angepasst werden müssen. Moderne Technologien liefern allerdings einen Werkzeugkasten, mit dem die technische Umsetzung zum Erfolg werden kann. Ein Vorteil dabei ist, dass Systeme nach und nach, flexibel und in jeweils eigenem Tempo in einen übergreifenden Datenraum integriert werden können. Zwar entfaltet ein Feldzwilling seine vollen Fähigkeiten erst mit allen Teilnehmenden, überfordert so aber auch nicht die digitale Landwirtschaft.
Perspektivisch lässt sich das Konzept der Digitalen Zwillinge über den Feldzwilling hinaus ausbauen und es können weitere Entitäten einbezogen werden, um landwirtschaftliche Betriebe, aber auch vor- und nachgelagerte Unternehmen so zu unterstützen, wie ihre jeweiligen Prozesse es benötigen. Mit Blick auf Industrie 4.0 können Digitale Zwillinge so einen spürbaren Beitrag zur effektiven Digitalisierung der Landwirtschaft leisten.
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