In der Landwirtschaft sind gut funktionierende Lebensgemeinschaften wohlbekannt. Zum Beispiel leben Leguminosen und Knöllchenbakterien in einer Symbiose und profitieren voneinander. Knöllchenbakterien fixieren den Stickstoff aus der Luft. Dieser Stickstoff steht somit den Pflanzen zur Verfügung. Andersherum werden die Knöllchenbakterien von der Pflanze mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Doch: was hat dies nun mit dem Fraunhofer IESE zu tun? – Im Fraunhofer-Leitprojekt »Cognitive Agriculture (COGNAC)« steht insbesondere die Verknüpfung unterschiedlicher Kernkompetenzen wie Data Science und Plattformökonomie mit Expert*innen aus der Landwirtschaft im Vordergrund. Denn mit der Unterstützung von Data Science können Landwirt*innen einen deutlichen Mehrwert für ihren Betrieb erhalten. Wie genau z. B. eine digitale Abbildung von Nährstoffkreisläufen somit zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft beitragen kann, möchten wir in diesem Blog-Beitrag erläutern.
Das Fraunhofer-Leitprojekt »COGNAC« beschreibt im Grunde eine Symbiose, nämlich die Verknüpfung von landwirtschaftlichen Betrieben und den neuesten Entwicklungen im IT-Sektor, die unter anderem Künstliche Intelligenz und Robotik vorsieht. Mithilfe unterstützender Analysewerkzeuge und/oder digitaler Entscheidungsunterstützungen, welche auf Daten beruhen, können landwirtschaftliche Betriebe effizienter und nachhaltiger wirtschaften. Im Gegenzug erhält ein Data Scientist seine »Nahrung« zum Arbeiten, sprich die relevanten Daten, aus denen sich Optimierungspotenziale erkennen lassen. Die beschriebene Symbiose ist ein fundierter Grundstein, um gemeinsam Herausforderungen zu meistern. In diesem Fall adressieren wir die Herausforderung, die Dokumentation von Nährstoffflüssen landwirtschaftlicher Betriebe mithilfe von digitalen Hilfsmitteln zu automatisieren und darauf aufbauend Optimierungspotenziale für Nährstoffkreisläufe und für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft zu erarbeiten.
Status quo und Bestimmungen: Aktuelle Einschränkungen in der Düngeausfuhr und Dokumentationspflichten
Die EU hat sich in der aktuellen Farm2Fork-Strategie im Rahmen des Green Deals das Ziel gesetzt, in den nächsten Jahren den Düngemitteleinsatz um 20 % und die Nährstoffverluste um 50 % zu reduzieren. Außerdem hat die Landwirtschaft mit ihrer zum Teil intensiven Düngung in manchen Regionen Deutschlands zu einer erhöhten Nitratbelastung des Grundwassers geführt, die infolgedessen als sogenannte »rote Gebiete« ausgewiesen wurden. Deswegen hat Deutschland im Jahr 2020 die neue Düngeverordnung in Kraft gesetzt, die die bisherige Ausbringung von Düngemitteln noch weiter reglementiert. Dazu gehören z. B. verlängerte Sperrfristen für die Düngeausbringung, Düngebedarfsberechnungen für einzelne Anbaukulturen und angepasste Ausbringungstechniken. Für die »roten Gebiete« gelten noch schärfere Regeln und Vorschriften. Zu den neuen Regelungen für Landwirt*innen gehört auch die Stoffstrombilanzverordnung. Diese besagt, dass landwirtschaftliche Betriebe dazu verpflichtet sind, jedes Jahr eine Stoffstrombilanz zu erstellen. Dies bedeutet, dass die Landwirte Nährstoffzuflüsse und -abflüsse (Stickstoff und Phosphor) genau dokumentieren müssen. Neben Düngemitteln (organischen und mineralischen) beinhaltet die Stoffstrombilanzverordnung auch eine Angabenpflicht zu Nährstoffzuflüssen bzw. -abflüssen hinsichtlich Saatgut, Futtermittel, Nutztieren, tierischen und pflanzlichen Erzeugnissen und weiteren Stoffen.
In der Konsequenz heißt das für Landwirt*innen, dass viel Arbeitszeit für Dokumentationstätigkeiten anfällt. Landwirt*innen müssen eine komplexe Düngebedarfsberechnung durchführen, bevor sie den Dünger ausbringen. Bei der Düngeapplikation müssen bestimmte Vorschriften (z.B. Sperrfristen und Bodenzustand) eingehalten werden. Es muss genau dokumentiert werden, wo und wann welcher Dünger ausgebracht wurde, denn es dürfen bestimmte Grenzwerte nicht überschritten werden.
Aktuell werden die Daten in unterschiedlichen Systemen oder Formaten erfasst, d. h. es gibt vielfältige Medienbrüche. Oftmals erfolgt die Dokumentation sogar noch mit Stift und Papier. Wünschenswert aus Sicht von Landwirt*innen ist allerdings, die Dokumentationsvorgänge zu automatisieren und dadurch den Arbeitsaufwand für solche administrativen Tätigkeiten zu senken.
Digitalisierung als Chance für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft
Landwirt*innen befinden sich bei ihrer Tätigkeit in einem Interessenskonflikt. So wird auf der einen Seite beispielsweise angestrebt, die Grundwasserbelastung zu reduzieren, während auf der anderen Seite gleichzeitig die Qualitäts- und Ertragsparameter der angebauten Kulturpflanzen hochgehalten werden müssen. Dies kann mithilfe ackerbaulicher, biologischer (z.B. Fruchtfolgemanagement, Ansäuern der Gülle), technischer (z.B. Ausbringungstechniken) und auch agrarpolitischer Lösungen und Anreize erzielt werden. Die Digitalisierung kann in allen genannten Bereichen einen unterstützenden Beitrag leisten, indem zum Beispiel Prozesse digitalisiert werden. Des Weiteren können unterschiedliche Daten zusammengeführt und Datenanalysen vorgenommen werden, um daraus wichtige Erkenntnisse und mögliche Optimierungspotenziale zu gewinnen.
In der Theorie ist Düngung nach dem Liebig’schen Gesetz einleuchtend, aber die Erfassung der Parameter in der Praxis gestaltet sich sehr schwierig. Dies liegt daran, dass die einzelnen Einflussfaktoren schwer abzubilden sind und oftmals in komplexen Wirkungszusammenhängen zueinander stehen. Deshalb herrschen in der Praxis keine homogenen Wachstumsbedingungen bzw. Pflanzeneigenschaften vor. Zum Beispiel wird das Pflanzenwachstum durch das Zusammenspiel von Sonneneinstrahlung, Temperatur, Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit sowie Bodenart bestimmt, um nur einige Einflussfaktoren zu nennen.
Das Liebig’sche Gesetz der Pflanzendüngung
Das Pflanzenwachstum und die Erntegutqualität hängen von unterschiedlichen Faktoren ab, die in in Form der Liebig‘schen Tonne exemplarisch dargestellt werden. Justus von Liebig definierte bereits im 19. Jahrhundert das Minimumgesetz, das bis heute den Grundstein für die Düngung darstellt. Das Minimumgesetz besagt, dass das Pflanzenwachstum begrenzt ist, sobald nur ein Wachstumsfaktor in limitierendem Maße vorliegt. Ist dies der Fall, erzielt beispielweise eine Düngung mit einem anderen Nährstoff keinen Mehrertrag.
Schematische Darstellung des Minimumgesetzes von Liebig (©wikipedia.org | DooFi | bearbeitet durch Fraunhofer IESE)
Aufgrund der Komplexität kann es bei der Düngung dazu kommen, dass organische bzw. anorganische Düngemittel den Pflanzen zum falschen Zeitpunkt oder in der falschen Menge und Form zugeführt werden. Der optimale Zeitpunkt hängt von den regionalen Wetterverläufen ab, aber auch von den Bodenverhältnissen und der Maschinenausstattung des Betriebs (oder des Lohnunternehmens). Erfolgt zum Beispiel die Düngung im Frühjahr zu spät und tritt anschließend eine warme und regenarme Wetterperiode ein, wird der Dünger in geringerem Maße von den Kulturpflanzen aufgenommen, somit die Gefahr der Auswaschung erhöht und der Ertrag verringert. Dadurch wird klar, dass die regionalen Wettergegebenheiten eine wichtige Rahmenbedingung für die Nährstoffaufnahme von Pflanzen sind. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass mineralische Dünger den Pflanzen schneller zur Verfügung stehen als organische Dünger.
Um vermeidbare Nährstoffverluste (wie Nitratauswaschungen oder gasförmige N-Verluste zum Beispiel in Form von Lachgas) zu verhindern, birgt die digitale Dokumentation ein enormes Potenzial, indem sich nämlich relevante Daten miteinander verknüpfen lassen, um Optimierungspotenziale zu gewinnen. So haben Flächen oder Teilflächen unterschiedliche Ertragspotenziale, wenn sie entsprechend gedüngt werden. Diese unterschiedlichen Potenziale können mithilfe der Digitalisierung genau erfasst werden und somit kann die Düngemenge optimiert werden. Dies erfolgt auf Basis der Zusammenführung unterschiedlicher Informationen und Datenquellen (z.B. Ertragskarten, Bodenkarten, Biomasse des aktuellen Pflanzenbestands).
Erste Schritte zur automatischen Dokumentation: Überprüfung der Datenqualität
Zur Gewährleistung von mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft arbeiten wir im Fraunhofer-Leitprojekt »COGNAC« an digitalen Lösungen, um folgende Eckpunkte zu adressieren:
- Eine automatisierte Dokumentation soll den Arbeitsaufwand für Landwirte verringern.
- Auf Basis der digitalen Dokumentation sollen sich Konzepte für kognitive Dienste (z.B. Datenzusammenführung, Modellierung von Daten) erarbeiten und Optimierungspotenziale aufzeigen lassen
Um die beiden genannten Punkte anzugehen, wurden in Kooperation mit einem Milchviehbetrieb zunächst relevante Stationen im Nährstoffkreislauf erfasst, die in Abbildung 1 dargestellt sind. An jeder Station wurden hierzu Informationen über Nährstoffe erfasst und dokumentiert (für manche Stationen existieren de facto nur Richtwerte). Zusätzlich wurden an den einzelnen Stationen ebenfalls unvermeidbare Verluste (z.B. Ernteverluste) und vermeidbare Nährstoffverluste (z.B. durch Verwendung verbesserter Applikationstechnik für Dünger) berücksichtigt. Anschließend erfolgte an den einzelnen Stationen eine Überprüfung der in digitaler Form vorliegenden Daten und es wurde festgestellt, welche Informationen sich daraus ableiten lassen. Zum Beispiel liegen Informationen wie Milchgeldabrechnungen oder Bodenprobenergebnisse nur im PDF-Format vor, was eine automatisierte Weiterverarbeitung erschwert.
Eine genaue Analyse von Nährstoffkreisläufen erfordert u. a. auch Angaben zum genauen Ernteertrag für jedes Feld. Allerdings ist im Bereich der Futterbergung oftmals der genaue Ernteertrag (z.B. von Grünland) nicht bekannt. Heutzutage ist es möglich, mithilfe von Sensordaten Ernteerträge im Grünland zu erfassen. Dies wiederum birgt das Potenzial, Nährstoffe effizienter und nachhaltiger einzusetzen. Dazu werden zunächst die von Maschinen erfassten Daten betrachtet.
Es wurde dabei allerdings festgestellt, dass die vorliegenden Daten zum Teil in geringer Datenqualität vorliegen. Unter anderem wurden folgende Schwachpunkte festgestellt:
- a) Anwendungen liegen außerhalb der Feldgrenzen (rechts oben am Feldrand)
- b) Anwendungen wurden nur lückenhaft erfasst (roter Streifen im Feld)
- c) Falsche Einheiten der Messwerte (z.B. Tonnen und Kilogramm vertauscht)
In Abbildung 2 sind die genannten Schwachpunkte bildlich dargestellt.
Bei den festgestellten Schwachpunkten kann es sich um Anwendungsfehler oder um technische Fehler handeln. Wir haben deshalb einen Ansatz zur Erkennung der Datenqualität entwickelt, um Landwirt*innen somit sofort eine Rückmeldung geben zu können, ob die erfassten Daten überhaupt die Anforderungen für eine automatisierte Dokumentation erfüllen.
Die Bewertung der Daten erfolgt auf Basis der ISO-Norm 25012. Diese Norm beschreibt ein Datenqualitätsmodell mit 15 festgelegten Datenqualitätsmerkmalen, die den Bereich von inhärenter Datenqualität bis hin zur systemabhängigen Datenqualität beschreiben. In Absprache mit Expert*innen und unter Berücksichtigung des Anwendungsfalls haben wir uns auf sechs Datenqualitätsmetriken aus den Bereichen der inhärenten Datenqualität beschränkt. Mit den festgelegten Qualitätskriterien kann die Datenqualität der erfassten Dateien (Shape-Dateien) relativ genau bewertet werden.
Warum ist die Datenqualität für Landwirt*innen und für mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft relevant?
Im Kontext einer automatisierten Dokumentation ist es wichtig, dass die erfassten Daten einem Qualitätscheck unterzogen werden. Die Datenqualität kann mit dem entwickelten Tool geprüft werden und zum Beispiel beim Sendevorgang von der Maschine zu dem eingesetzten Farm-Management-Informationssystem (FMIS) erfolgen. Eine Qualitätsbewertung könnte aber auch als Dienst im digitalen Feldzwilling angeboten werden. In beiden Fällen bekommen die Landwirt*innen eine Rückmeldung, ob die Anwendungen auf den Flächen korrekt erfasst wurden. Falls dies nicht der Fall sein sollte, erhalten sie nach Analyse der Daten eine Rückmeldung und besitzen die Möglichkeit, einfach entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Zum Beispiel können Lücken interpoliert werden, falls es sich um einen Anwenderfehler handelt und der Job zu spät gestartet wurde. Zum anderen können die Landwirt*innen bestätigen, dass nur auf einem Teilbereich des Feldes Mist ausgebracht wurde. Falls die Einheiten falsch im System hinterlegt sind, müssen Landwirt*innen dies einfach im System anpassen können. Einerseits kann der verlangten Dokumentationspflicht somit einfacher nachgekommen werden und andererseits stehen durch die digitale Verfügbarkeit größere Potenziale für Datenverknüpfungen und somit mögliche Optimierungskonzepte offen. Hinsichtlich des Themas Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft gibt es noch viel Optimierungspotenzial. Darum arbeiten wir am Fraunhofer IESE im Leitprojekt »COGNAC« daran, diese Herausforderungen anzugehen.
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