Dr. Marcus Trapp, Department Head »Digital Innovation Design« am Fraunhofer IESE, hat mit über 100 durchgeführten Projekten bereits viel Erfahrung im Bereich Innovation Engineering gesammelt. Beim Innovation Engineering wird mithilfe von professionellen Techniken und Methoden das Finden und Auswählen von geeigneten Ideen sowie das Umsetzen von Innovationen unterstützt. Im Interview beschreibt Dr. Trapp, was eine Innovation ausmacht und wie der Engineering-Prozess zur Umsetzung einer Idee eingesetzt werden kann.
Was ist eine Innovation?
Vorweg ist erst einmal wichtig zu sagen, was »Innovation« überhaupt bedeutet. Der Begriff wird häufig verwechselt mit dem englischen Wort »invention«, was im Deutschen »Erfindung« heißt. Doch wenn man eine tolle Idee für eine Erfindung hat, bedeutet das nicht automatisch, dass es sich auch um eine Innovation handelt.
Bei einer wahren Innovation hat eine große Gruppe von Personen einen Nutzen in der Erfindung erkannt, akzeptiert diese und verwendet sie auch. Erst dann wird die Erfindung zur Innovation.
Welche Arten von Innovationen gibt es?
Auf der einen Seite können existierende Produkte oder Services eine Dimension besser gemacht werden. Zum Beispiel kann es eine Innovation sein, etwas schneller, zuverlässiger, haltbarer, flexibler usw. zu machen. Eine solche Innovation nennt man »inkrementelle Innovation«, d.h. bekannte Technologien, Produkte, Dienstleistungen, Geschäftsmodelle oder Prozesse werden weiterentwickelt.
Auf der anderen Seite gibt es noch die »radikale Innovation«. Darunter fallen Innovationen, die eine ganze Branche revolutionieren können und sich oft durch neue Geschäftsmodelle auszeichnen. Entweder handelt es sich um etwas, das ein Unternehmen zwar selbst noch nie gemacht hat, das andere Unternehmen aber schon umgesetzt haben. Somit ist es dennoch für das jeweilige Unternehmen eine komplett neue, radikale Innovation. Oder es kann sich um etwas handeln, das tatsächlich noch von nie von irgendeinem Unternehmen bisher gemacht wurde.
Wir vom Fraunhofer IESE begleiten in beiden Innovationsarten Firmen dabei, ihre Idee zur Innovation umzusetzen. Natürlich ist das bei einer radikalen Innovation um einiges komplexer.
Auch viele unserer eigenen Leistungen, die wir am IESE anbieten, wie das Umsetzen von zuverlässiger Künstlicher Intelligenz oder die Gestaltung Digitaler Ökosysteme, sind zuvor noch nie gemacht worden und zählen zu den radikalen Innovationen.
Was versteht man unter Innovation Engineering?
Was man mithilfe des Innovation Engineering nun macht, ist, ingenieursmäßig an den Prozess heranzugehen. Mit verschiedenen professionellen Prinzipien, Techniken, Methoden und Werkzeugen wird das Finden und Auswählen von geeigneten Ideen sowie das Umsetzen der Innovation unterstützt. Ziel ist, dass tatsächlich aus einer Idee eine Innovation wird und der Prozess dorthin durch das Innovation Engineering beschleunigt wird.
In der digitalen Welt ist der Innovationszyklus – also die Geschwindigkeit, in der neue Innovationen von der Gesellschaft erwartet werden – viel schneller geworden. Daher befinden sich auch die Unternehmen in Zugzwang, immer häufiger neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen.
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Wieso zählt Innovation Engineering – gemeinsam mit Software- und Systems-Engineering – zu den Kernleistungen des IESE?
Diese Frage lässt sich ganz klar beantworten, denn in fast jedem unserer Projekte spielt Innovation Engineering eine Rolle, auch wenn es nicht immer explizit so genannt wurde. Seit mehr als zehn Jahren beschäftigen wir uns schon systematisch mit dem Themenfeld, weil es die Basis für viele Softwareprojekte bildet. Damit spielt Innovation Engineering eine ebenso wichtige Rolle wie die reine Softwareentwicklung.
Es gibt aber viele Kunden, die diese Ideenentwicklung nicht dem klassischen Software- und Systems-Engineering zuordnen. Da wir diesen Kunden verdeutlichen möchten, dass wir vom Fraunhofer IESE sie auch schon in der frühen Phase des Engineering-Prozesses unterstützen können, haben wir den Begriff »Innovation Engineering« explizit in unser übergreifendes Leistungsportfolio aufgenommen. Jetzt wissen alle Unternehmen, dass sie auch schon für die kreative Ideenfindung auf uns zählen können und nicht erst, wenn es um die technische Umsetzung einer Lösung mit Software geht.
Was ist die größte Herausforderung beim Innovation Engineering?
Häufig ist es bereits die erste große Hürde für Unternehmen, überhaupt passende Ideen zu entwickeln. Wichtig ist, mit der Innovation einen Mehrwert für deren Kunden zu schaffen. Das klingt selbstverständlich, ist es jedoch leider nicht.
Wenn z.B. ein Produkt günstiger hergestellt wird, diese Preissenkung aber nicht an den Kunden weitergegeben wird, liegt der Nutzen erst einmal nur beim Unternehmen.
Um sich bewusst zu machen, was der Nutzen für die Kundschaft ist, versucht man im Innovation Engineering, über konkrete Szenarien nachzuempfinden, wie ein Produkt oder Service dem Kunden tatsächlich hilft oder auch welche Risiken bestehen. Solche Szenarien besprechen wir u.a. in den Kundenworkshops mit den Unternehmen.
Welche Methoden kommen in den Kundenworkshops des IESE zum Einsatz?
Wir verwenden ganz viele verschiedene Methoden und Techniken in unseren Kundenworkshops. Diese Workshops dauern in der Regel zwischen einem und zweieinhalb Tagen und werden individuell an die Anforderungen der Kunden angepasst.
Eine konkrete Methode ist dabei beispielsweise die »6-5-3 Brainwriting«-Methode, die wir vielfältig weiterentwickelt haben und die in unterschiedlichsten Varianten zum Einsatz kommt. Weiterhin setzen wir gerne szenarienbasierte Methoden oder »Forced Fit«-Ansätze sowie bewertende Methoden wie »Buy-a-Feature« ein. Wir orientieren uns beim Workshop-Design meist am Arbeitsprozess von Designer*innen. Dabei kann es auch sein, dass wir konkrete »Design Thinking«-Workshops durchführen.
Es gibt aber noch viele weitere Kreativitätstechniken, wie die »Design Sprint«-Methode oder die »Hackathon«-Methode, die dabei unterstützen, neue Lösungen in kurzer Zeit zu erarbeiten. Meistens werden die Workshops jedoch komplett individuell für unsere Kunden zusammengestellt.
Natürlich setzen wir auch unsere von uns selbst entwickelte Kreativitätsmethode ein, die »Tangible Ecosystem Design«-Methode. Damit wird die Gestaltung von Digitalen Ökosystemen mithilfe von Playmobil®-Spielfiguren für unsere Kunden greifbar – auf Englisch: »tangible«.
Sie wollen mehr zur »Tangible Ecosystem Design«-Methode (kurz: TED-Methode) erfahren? – Dann hören Sie unbedingt mal in Folge 7 unseres MORGEN DENKER-Podcasts rein.
Außerdem empfehlen wir einen Blick in unsere Webinar-Aufzeichnungen zum Thema »Design Digitaler Ökosysteme«.
Welcher Personenkreis nimmt an dem Workshop teil?
Wir achten besonders drauf, dass die Teilnehmenden für den Zweck des Workshops repräsentativ sind, dass also verschiedene Rollen und Hierarchie-Ebenen vertreten sind.
Teilweise nehmen auch Kunden der Unternehmen teil, damit sie von Anfang an in den neuen Entwicklungsprozess eingebunden werden und ihre Erfahrungen teilen können.
Von unserer Seite werden die Workshops von mindestens zwei Moderierenden des IESE geleitet. Wenn erwünscht, nehmen auch noch weitere Kolleg*innen an den Workshops teil. Als neutrale Fachexpert*innen können sie ihre Expertise optimal einbringen.
Wo finden die Workshops statt?
Um eine gewisse Kreativität entfalten zu können, befinden sich die Kunden im Optimalfall nicht in ihrer gewohnten Umgebung, sondern zum Beispiel im Innovation Space am Fraunhofer IESE in Kaiserslautern. Dieser speziell ausgestattete Kreativitätsraum wurde dieses Jahr sogar von der Fraunhofer Academy als begeisternder Lernort ausgezeichnet.
Durch die flexiblen Wände, die ausgefallenen Sitzmöbel, die bunte Farbgestaltung und vieles mehr schafft der Raum eine kreative Atmosphäre, in der es den Kunden leichter fällt als in einem klassischen Büro, kreative Ideen zu entwickeln.
Aber natürlich fahren wir auch zu den Kunden vor Ort und bereiten z.B. einen angemieteten Meetingraum entsprechend mit Stellwänden, Flipcharts usw. vor. Am Ende des Workshops hängen dort so viele bunte Post-its und Plakate, dass der Raum kaum wiederzuerkennen ist.
Was ist das Ergebnis eines solchen Workshops? Und wie geht es für die Unternehmen im Nachgang weiter?
Ziel ist es, im Projektteam geeignete Lösungsideen zu der Problemstellung des Kunden auszuarbeiten. Aber ich möchte noch einmal betonen: Beim Innovation Engineering geht es um mehr als nur den reinen Workshop – es geht vielmehr darum, die Kunden tatsächlich zu begleiten, von der Entwicklung einer Idee bis zur Markteinführung der Innovation.
Nach dem Workshop ist die Arbeit nicht zu Ende, denn nun müssen die ausgearbeiteten Ideen innerhalb des Unternehmens vorangetrieben werden. Je nachdem, um welches Produkt es sich handelt, kann sich der gesamte Innovation-Engineering-Prozess über Monate oder gar Jahre hinziehen – vor allem, wenn ein komplett neues Geschäftsmodell aufgebaut wird.
Wie bringt sich das IESE im Nachgang zu den Workshops ein?
Je mehr die Umsetzungsidee etwas mit Software zu tun hat, desto intensiver können wir Expert*innen des Fraunhofer IESE die Unternehmen bis zu ihrer finalen Lösung unterstützen.
Beispielweise könnte das bedeuten, dass wir einen Digitalen Zwilling aufsetzen oder einen KI-Algorithmus entwickeln, der überprüft, ob die entworfene Lösung auch das tut, was sich der Kunde wirklich wünscht, oder ob die richtigen Daten zur Verfügung stehen. Wir helfen Unternehmen aber auch bei der Gestaltung einer Benutzerschnittstelle oder beim Aufbau einer neuen Plattform für ein Digitales Ökosystem. Wie decken den ganzen Lebenszyklus im Software Engineering ab! Neben der fachlichen Ausgestaltung unterstützen wir unsere Kunden auch bei der Ausgestaltung des Geschäftsmodells für die neue Lösung.
Für welche Branchen eignet sich das Innovation Engineering besonders?
Innovation Engineering ist komplett branchenunabhängig. Wir haben schon Projekte dazu in sehr vielen verschiedenen Branchen durchgeführt, z.B. in der Finanz- oder Automobilbranche, aber auch in den Bereichen Kühltechnik, Landwirtschaft, Luftfahrt, Chemie oder Retail waren wir schon unterwegs.
In diesen frühen Phasen der Ideenentwicklung ist man nicht nur unabhängig von der Branche, sondern genau genommen auch softwareunabhängig. Aber in der heutigen Zeit liegt die Wahrscheinlichkeit, dass wir zu einer Innovation kommen, die zumindest einen gewissen Softwareanteil besitzt, bei nahezu 100 Prozent. Software ist der Innovationstreiber Nummer 1 überhaupt!
Welche Vorteile haben die Firmen davon, mit dem Fraunhofer IESE zusammenzuarbeiten?
Einer der generellen Vorteile von Fraunhofer ist die Neutralität. Als externer Partner leiten wir die Unternehmen mit einem »Blick von außen« an. Gerade wenn ein Unternehmen lange mit einem Geschäftsmodell Erfolg hatte, gibt es viele Mitarbeitende, die am Status quo festhalten möchten. Wir unterstützen dabei, die Vorbehalte gegen die neuen Innovationen abzubauen.
Dazu braucht man viel Erfahrung, und die bringen wir mit!
Ein weiterer Vorteil betrifft die eigentliche Umsetzung. Wir decken am IESE alle Disziplinen im Bereich Software- und Systems-Engineering ab. Aber falls das noch nicht ausreicht, können wir auf die Expertise des gesamten Fraunhofer-Netzwerks zugreifen.
Der Vorteil für die Kunden liegt dabei natürlich auf der Hand: Durch die Umsetzung innovativer Lösungen bleiben sie langfristig wettbewerbs- und zukunftsfähig.
Falls Sie Fragen zu »Innovation Engineering« haben, nach Partnern im Rahmen von Forschungsvorhaben suchen oder ein konkretes Anliegen hinsichtlich des Findens, der Auswahl und der Umsetzung von digitalen Innovationen haben, so zögern Sie nicht, unseren Ansprechpartner zu kontaktieren!
Jetzt Kontakt aufnehmen: Patrick Mennig, Department Head »Digital Innovation Design«
Das Interview führte Fabienne Bäcker, Press Relations Managerin am Fraunhofer IESE, mit Dr. Markus Trapp, zum damaligen Zeitpunkt Department Head »Digital Innovation Design«.