Digitale Patienten-Zwillinge und digitale Biomarker

Digitale Biomarker und digitale Patientenzwillinge: Die unsichtbaren Helden deiner Gesundheit!

In der heutigen Zeit verschmelzen Medizin und Technologie immer stärker miteinander. Daher ist es nicht verwunderlich, dass digitale Biomarker und Patientenzwillinge in den Vordergrund treten. Diese innovativen Technologien haben das Potenzial, die personalisierte Medizin grundlegend zu verändern und die Behandlung von Patientinnen und Patienten zu revolutionieren. Sie bieten die Möglichkeit, Gesundheitsrisiken frühzeitig zu erkennen und individuelle Präventionsstrategien zu entwickeln.

Digitale Biomarker: Was ist das?

Biomarker sind charakteristische biologische Merkmale, die objektiv gemessen werden und als Indikatoren für normale oder krankhafte biologische Prozesse sowie für die Reaktion auf therapeutische Behandlungen dienen und dabei helfen können, den Gesundheitszustand zu überwachen und Prognosen zu erstellen. Ein Beispiel für einen Biomarker ist das Choriongonadotropin (hCG). Normalerweise wird dieser Wert zur Bestimmung einer Schwangerschaft verwendet. Ist der hCG-Wert jedoch unabhängig von einer Schwangerschaft erhöht, kann dies auf das Vorliegen eines Keimzelltumors oder eines Hepatoblastoms bei Kindern hinweisen. Die Überwachung und Kontrolle der Therapie dieser Tumoren basiert insbesondere auf dem hCG-Wert [1].

Aufbauend darauf haben sich mittlerweile digitale Biomarker als eine fortgeschrittene Form entwickelt. Diese werden unter anderem durch den Einsatz digitaler Technologien wie Sensoren, Wearables, Implantate oder Bilddaten erfasst. Die über mehrere Hard- und Softwareebenen gesammelten Daten der Geräte dienen als Indikatoren für normale biologische Prozesse, pathogene Prozesse oder biologische Reaktionen auf therapeutische oder andere Interventionen. Durch die kontinuierliche und ferngesteuerte Erfassung und Bewertung von medizinischen Daten außerhalb der traditionellen klinischen Umgebung erweitern digitale Biomarker die Möglichkeiten zur medizinischen Überwachung [2]. Beispiele für digitale Biomarker aus der Praxis lassen sich in verschiedenen medizinischen Bereichen finden. In der Neurologie werden beispielsweise bei Patientinnen und Patienten mit Friedreich-Ataxie oder Duchenne-Muskeldystrophie Bewegungsanalysen mittels Sensoren in der Kleidung durchgeführt [3]. Die erfassten Bewegungsmuster helfen bei der Diagnose und Überwachung dieser Krankheiten. In der Psychotherapie findet die Stimmungsanalyse Anwendung bei bipolaren Störungen. Durch Veränderungen im Verhalten der Smartphone-Nutzung können somit Rückschlüsse auf den emotionalen Zustand von Patientinnen und Patienten gezogen werden [4].

Arten von (digitalen) Biomarkern [2]:

  • Anfälligkeits-/Risikobiomarker: zeigen die Wahrscheinlichkeit an, mit der eine Person eine bestimmte Krankheit entwickeln könnte.
  • Diagnostische Biomarker: werden verwendet, um eine Krankheit oder den Zustand von Patientinnen und Patienten genau zu diagnostizieren.
  • Überwachungsbiomarker: werden genutzt, um den Krankheitsverlauf von Patientinnen und Patienten zu überwachen.
  • Prognostische Biomarker: geben Informationen über den wahrscheinlichen Verlauf einer Krankheit von Patientinnen und Patienten, unabhängig von der Behandlung.
  • Prädiktive Biomarker: werden verwendet, um vorherzusagen, wie gut eine Person auf eine bestimmte Behandlung ansprechen wird.
  • Pharmakodynamische Biomarker/Reaktionsbiomarker: zeigen die Wirkung eines Arzneimittels auf den Körper an und helfen zu beurteilen, ob ein Medikament die gewünschte physiologische Reaktion hervorruft.

Der digitale Patientenzwilling

Digitale Zwillinge repräsentieren eine fortschrittliche Technologie, die durch die Integration von Daten und Echtzeitsimulationen virtuelle Modelle physischer Entitäten erstellt. Ursprünglich in technischen Disziplinen etabliert, findet dieses Konzept zunehmend Anwendung im medizinischen Sektor, zum Beispiel in Form von digitalen Patientenzwillingen. Ein digitaler Patientenzwilling ist eine spezifische Ausprägung des Digitalen Zwillings, der individuelle Gesundheitsdaten eines Patienten oder einer Patientin nutzt, um ein detailliertes und dynamisches virtuelles Modell dieser Person zu schaffen. Dieses Modell ermöglicht es Medizinerinnen und Medizinern, Krankheitsverläufe zu simulieren, Therapien präzise anzupassen und potenzielle Reaktionen auf verschiedene Behandlungsmethoden vorherzusagen. Dadurch, dass der digitale Patientenzwilling kontinuierlich mit neuen Daten aktualisiert wird, können auch Veränderungen im Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten zeitnah erfasst werden und es kann entsprechend reagiert werden. Der Einsatz solcher Modelle kann somit zu einer erheblichen Verbesserung von Diagnose, Behandlung und präventiven Maßnahmen führen und stellt einen Paradigmenwechsel in der personalisierten Medizin dar [5].

Digitale Zwillinge von Patientinnen und Patienten finden bereits in verschiedenen Bereichen Anwendung und können dabei unterschiedlich aufgebaut werden:

  • Krankheitsspezifisch, z. B. zur verbesserten, personalisierten Behandlung und Medikation von Patientinnen und Patienten mit Diabetes oder Multipler Sklerose.
  • Organspezifisch, z. B. Zwillingsherzen, mit deren Hilfe bspw. Herzschwächen besser behandelt werden können.
  • Holistische Ansätze, die mithilfe einer Vielzahl von Parametern wie Hormonhaushalt, Familiengeschichte oder Vitalparametern Voraussagen über den zukünftigen Gesundheitszustand von Personen treffen können.

Symbiose aus digitalen Patientenzwillingen und digitalen Biomarkern

Die Kombination von digitalen Biomarkern mit digitalen Patientenzwillingen stellt einen bedeutenden Fortschritt in der personalisierten Medizin dar. Die Verbindung dieser Methoden ermöglicht durch die Nutzung von Echtzeitgesundheitsdaten und virtuellen Patientenmodellen eine genauere und individuellere medizinische Betreuung. Die kontinuierliche Überwachung des Gesundheitszustands einer Person und die ständige Aktualisierung ihrer digitalen Repräsentation können Behandlungspläne laufend verbessern, was die Effektivität der medizinischen Versorgung steigert. Zudem ermöglicht die fortgeschrittene Analyse, zukünftige Gesundheitsentwicklungen vorauszusehen und proaktiv darauf zu reagieren. Digitale Patientenzwillinge unterstützen auch die Entdeckung und Validierung neuer digitaler Biomarker. Durch ihren Einsatz lassen sich Daten in einer bisher unvorstellbaren Detailtiefe sammeln und analysieren, was zur Identifikation von bisher unbekannten Biomarkern führen kann. Viele potenzielle Biomarker sind bislang möglicherweise unentdeckt geblieben, da die Daten nicht in der nötigen Breite und Tiefe gesammelt und ausgewertet werden konnten. Insgesamt bietet diese Verbindung das Potenzial, die medizinische Landschaft grundlegend zu verändern [6].

Anwendungsbeispiele für die Integration von digitalen Biomarkern in digitale Patientenzwillinge sind in verschiedenen medizinischen Feldern zu finden und demonstrieren eindrucksvoll, wie diese Technologien die Behandlung und das Gesundheitsmanagement verbessern:

  • Diabetes: Digitale Biomarker, die durch kontinuierliche Glukosemesssysteme gesammelt werden, können in digitale Patientenzwillinge eingespeist werden, um die Reaktion von Patientinnen und Patienten auf verschiedene Behandlungspläne in Echtzeit zu simulieren. Diese Modelle ermöglichen es Ärztinnen und Ärzten, die Insulintherapie präzise auf den individuellen Bedarf einer Person abzustimmen und so die Glukosekontrolle zu optimieren und das Risiko von Hypoglykämien zu minimieren.
  • Onkologie: Digitale Biomarker aus bildgebenden Verfahren und genetischen Tests können genutzt werden, um Digitale Zwillinge von Tumoren zu erstellen. Solche Modelle können verwendet werden, um die Wirksamkeit verschiedener Chemotherapien zu simulieren, bevor der Patient oder die Patientin tatsächlich behandelt wird. Diese präventive Strategie kann dazu beitragen, die Behandlungseffizienz zu erhöhen und gleichzeitig die Belastung und potenziellen Nebenwirkungen für Patientinnen und Patienten zu reduzieren.
  • Kardiologie: Hier können digitale Biomarker wie Herzrhythmus, Blutdruck und andere kardiovaskuläre Indikatoren genutzt werden, um Herz-Kreislauf-Erkrankungen besser zu verstehen und zu behandeln. Durch die Simulation verschiedener Szenarien im Digitalen Zwilling können Medizinerinnen und Mediziner potenzielle Risiken früher erkennen und präventive Maßnahmen ergreifen.

Herausforderungen

Obwohl die Verbindung von digitalen Biomarkern mit digitalen Patientenzwillingen erhebliche Fortschritte in der personalisierten Medizin verspricht, bringt sie auch Herausforderungen mit sich. Eine der größten Herausforderungen ist der Datenschutz und die Datensicherheit, da enorme Mengen sensibler Patientendaten gesammelt, übertragen und gespeichert werden müssen. Die Gewährleistung des Datenschutzstandards und die Sicherung der Daten gegen unbefugten Zugriff stellen entscheidende Anforderungen dar. Eine weitere Herausforderung liegt in der Integration und Standardisierung der Daten aus verschiedenen Quellen, um eine konsistente und präzise Datenbasis für die digitalen Patientenzwillinge und die Identifikation von digitalen Biomarkern zu schaffen. Hinzu kommt die Notwendigkeit, medizinisches Personal in der Nutzung dieser neuen Technologien zu schulen, um eine korrekte Anwendung und Interpretation der gewonnenen Daten zu gewährleisten. Schließlich ist die wissenschaftliche Validierung der erzielten Ergebnisse eine kontinuierliche Herausforderung, da klinische Relevanz und Genauigkeit dieser innovativen Ansätze ständig überprüft und verbessert werden müssen.

Am Fraunhofer IESE verfügen wir über spezialisierte Kenntnisse, Technologien und Methodologien zur Erfassung und Analyse von digitalen Biomarkern, die entscheidend sind, um Veränderungen im Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten präzise zu erfassen. Ein Beispiel ist hier unser Projekt Neighborhood Diagnostics (https://www.iese.fraunhofer.de/de/referenz/neighborhood-diagnostics-patientennahe-diagnostik.html), wo ein innovatives Digitales Ökosystem zur Erfassung relevanter Gesundheitsdaten über Wearables und Smart Medical Devices entwickelt wird.

Fazit zu digitalen Patientenzwillingen und digitale Biomarker

Die Symbiose aus digitalen Patientenzwillingen und digitalen Biomarkern repräsentiert einen Meilenstein für die Entwicklung der personalisierten Medizin. Durch sie können Behandlungspläne fortlaufend optimiert werden, und es kann proaktiv auf Veränderungen im Gesundheitszustand von Patientinnen und Patienten eingegangen werden. Dies bietet nicht nur mehr Prävention, sondern reduziert auch die Gesundheitsausgaben für Medikamente oder Spätfolgen. Auch wenn dieser Ansatz einige Herausforderungen mit sich bringt, so wird die Symbiose dieser beiden unsichtbaren Helden unser aller Gesundheit in Zukunft maßgeblich beeinflussen.

Referenzen

[1] Sisinni L, Landriscina M. The Role of Human Chorionic Gonadotropin as Tumor Marker: Biochemical and Clinical Aspects. Adv Exp Med Biol. 2015;867:159-76. doi: 10.1007/978-94-017-7215-0_11. PMID: 26530366.

[2] Coravos A, Khozin S, Mandl KD. Developing and adopting safe and effective digital biomarkers to improve patient outcomes. NPJ Digit Med. 2019;2(1):14. doi: 10.1038/s41746-019-0090-4. Epub 2019 Mar 11. Erratum in: NPJ Digit Med. 2019 May 10;2:40. doi: 10.1038/s41746-019-0119-8. PMID: 30868107; PMCID: PMC6411051.

[3] Kadirvelu, B., Gavriel, C., Nageshwaran, S. et al. A wearable motion capture suit and machine learning predict disease progression in Friedreich’s ataxia. Nat Med 29, 86–94 (2023). https://doi.org/10.1038/s41591-022-02159-6

[4] Mühlbauer, E., Bauer, M., Ebner-Priemer, U. et al. Effectiveness of smartphone-based ambulatory assessment (SBAA-BD) including a predicting system for upcoming episodes in the long-term treatment of patients with bipolar disorders: study protocol for a randomized controlled single-blind trial. BMC Psychiatry 18, 349 (2018). https://doi.org/10.1186/s12888-018-1929-y

[5] Katsoulakis, E., Wang, Q., Wu, H. et al. Digital twins for health: a scoping review. npj Digit. Med. 7, 77 (2024). https://doi.org/10.1038/s41746-024-01073-0

[6] Anwar, T. (2023, January 14). Digital Twins Unlock the Key to New Biomarker Discovery for Atherosclerosis. CBIRT. Retrieved July 24, 2024, from https://cbirt.net/digital-twins-unlock-the-key-to-new-biomarker-discovery-for-atherosclerosis/