Fraunhofer IESE - Ansätze zur Vermittlung von Data Literacy

Future Skills: Ansätze zur Vermittlung von Data Literacy in der Hochschulbildung

Die Fähigkeit, planvoll mit Daten umzugehen und sie im jeweiligen Kontext bewusst einsetzen und hinterfragen zu können wird im Zuge der digitalen Transformationen von zunehmender Wichtigkeit und stellt eine zentrale Kompetenz in allen Sektoren und Disziplinen dar. Auf der einen Seite werden Data Scientists benötigt, die in der Lage sind, speziell mit großen heterogenen Daten umzugehen und die Technologie rund um den Big-Data-Lifecycle beherrschen, um schnell Entscheidungen basierend auf Daten und daraus abgeleiteten Informationen ermöglichen zu können. Auf der anderen Seite werden in der Breite in allen Sektoren und Disziplinen Personen benötigt, welche die Fähigkeit besitzen, Daten auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu managen, zu bewerten und anzuwenden. Diese Fähigkeiten werden unter dem Begriff Data Literacy zusammengefasst.

Im Auftrag der Arbeitsgruppe Curriculum 4.0 des Hochschulforums Digitalisierung führten das Fraunhofer IESE und die Gesellschaft für Informatik eine Studie durch, um umsetzbares Wissen für Hochschulen und Fächer für die Curriculum-Entwicklung im Hinblick auf Data Literacy zusammenzustellen. Der Fokus lag dabei auf europäischen und internationalen Best-Practice-Beispielen, welche Angebote zur bedarfsgerechten, disziplinübergreifenden Vermittlung von Wissen zur datengestützten Arbeit und Entscheidungsfindung aufgebaut haben.

Im Rahmen der Recherche wurden 89 potenzielle Best-Practice-Beispiele recherchiert und klassifiziert. 15 Fallbeispiele von besonderem Interesse wurden ausgewählt und im Detail analysiert. Zu sechs Fallbeispielen wurden semi-strukturierte Interviews durchgeführt und eine Online-Umfrage mit 69 Teilnehmern aufgesetzt. Im Rahmen eines internationalen Workshops in Berlin wurden schließlich mit 19 ausgewählten Fachexperten Handlungsempfehlungen erarbeitet. Im vorliegenden Artikel wollen wir auf ausgesuchte Ergebnisse bzgl. der Leitfragen der Studie eingehen.

Leitfrage 1: Was wird unter Data Literacy verstanden und welche Schwerpunkte sind relevant?

„Data Literacy” wird als die Fähigkeit Daten definiert, auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu managen, zu bewerten und anzuwenden. Sowohl bei den Experteninterviews als auch bei der Umfrage stimmte dieser Definition ein Großteil der Personen völlig oder teilweise zu.  Es gibt allerdings eine große Überlappung zum Begriff der „Information Literacy” sowie angrenzenden Begriffen wie „Data Information Literacy”, „Science Data Literacy”, „Digital Literacy” oder auch „Statistical Literacy“.

Leitfrage 2: Wie wird Data Literacy in Disziplinen und Curricula integriert und wie schafft man Anreize für Lehrende?

Über die Literatur hinweg zeigt sich, dass mit der Vermittlung von Kompetenzen im Bereich Data Literacy möglichst früh begonnen werden sollte. Das Bewusstsein für die Wichtigkeit muss sowohl Studierenden als auch Organisationen vermitteln werden. Ein Angebot muss zudem an verschiedene Bildungsniveaus und disziplinspezifisch an den Kontext, die Terminologie und den Arbeitsablauf der Problemstellung angepasst werden. Aus den Interviews heraus zeigte sich, dass verschiedene Modelle der Integration denkbar sind, von der stärkeren Einbeziehung von Online-Angeboten über das Angebot eines zentralen Einstiegskurses mit Erweiterungsmodulen bis hin zu vollintegrierten Lösungen. Die Angebote sind oftmals modular aufgebaut und bedienen sich moderner Vermittlungsmethoden (wie Hands-on-Lernen und projektbasiertes Lernen). Für alle Fallbeispiele bestanden Kollaborationen mit anderen Fachbereichen oder Einrichtungen. Die Motivation für Lehrende zur Beteiligung an gemeinsamen Angeboten bestand größtenteils in persönlichem Interesse und der Verbreiterung der eigenen Fähigkeiten.

Leitfrage 3: Was ist ein fachübergreifendes Set an Basiskompetenzen und was sind Spezialkompetenzen?

Nach Ridsdale et al. („Strategies and Best Practices for Data Literacy Education: Knowledge Synthesis Report“, Report, 2015) werden die folgenden grundlegenden/konzeptionellen Kompetenzen, Kernkompetenzen und fortgeschrittenen Kompetenzen unterschieden.

Kompetenzen  Konzeptionell  Kern  Fortgeschritten 
(1) Konzeptioneller Rahmen
Einführung in Daten X
(2) Datensammlung
Datenerschließung und -sammlung X
Evaluierung und Sicherstellen der Qualität der Datenquellen X
(3) Daten-Management
Datenorganisation X
Datenmanipulation X
Datenkonvertierung X
Metadatenerzeugung und -verwendung X
Datenheilung, -sicherheit und -wiederverwendung X
Datenaufbewahrung X
(4) Datenevaluation
Datenwerkzeuge X
Grundlegende Datenanalyse X
Dateninterpretation X
Nutzen von Daten zur Identifizierung von Problemen X
Datenvisualisierung X
Datenpräsentation X
Datengetriebene Entscheidungsfindung X
(5) Datenanwendung
Kritisches Denken X
Datenkultur X
Datenethik X
Datenzitierung X
Datenteilung X
Evaluieren von Entscheidungen basierend auf Daten X

 

Was als grundlegende und was als fortgeschrittene Kompetenz betrachtet wird, hängt auch damit zusammen, was man als Ausbildungszweck von Data Literacy in den Vordergrund stellt: Geht es um die Vermittlung um Grundkompetenzen für den mündigen Bildungsbürger oder um Kompetenzen, die für bestimmte Disziplinen und Anwendungszwecke wichtig sind.

Leitfrage 4: Welche Anforderungen ergeben sich an die Absolventinnen und Absolventen für Gesellschaft, Arbeitsmarkt und Wissenschaft?

Nach der Umfrage und den Interviews zeigt sich, dass zusammengefasst für die Gesellschaft insbesondere Fähigkeiten im ethisch korrekten Umgang mit Daten von Wichtigkeit sind, dass beim Arbeitsmarkt einzelne, mehr technische Fähigkeiten im Vordergrund stehen und dass in der Wissenschaft eher ein breites Kompetenzprofil gefragt ist.

Leitfrage 5: Was sind Handlungsempfehlungen für die curriculare Implementierung?

Basierend auf den Literaturquellen und den durchgeführten Interviews ließen sich eine Reihe von Herausforderungen und Maßnahmen identifizieren, die im Rahmen unseres Expertenworkshops zu Handlungsempfehlungen in drei Bereichen verdichtet wurden:

Strukturen und Kollaboration Kompetenzen und Integration Kompetenzvermittlung
  1. Aufbau geeigneter Infrastrukturen, Curricula, Zugang zu Best Practices und Daten
  2. Weiterbildung der Leiter, Überzeugung der Führung und Lancieren von Maßnahmen
  3. Aufbau von Kollaborationen über Abteilungen, Fachbereiche und Industrie, Schaffen einer Community of Practice und gemeinsamer Ressourcen
  1. Aufbau von Laboren für „Data Education“, um das Eigenstudium besser zu unterstützen
  2. Frühzeitig auf Schulebene beginnen, indem z.B. die kommende Lehrerschaft ausgebildet wird
  3. Aufbau eines standardisierten Kompetenz-Frameworks für Data Literacy
  1. Data Literacy sollte zur Grundvoraussetzung für akkreditierte Programme werden
  2. Data-Literacy-Bildung sollte standardisiert werden
  3. Die Vermittlung von Data-Literacy-Kompetenzen sollte als Duo mit einem Domänen-Experten und einem Data Scientist erfolgen und an den Kontext angepasst werden

 

Die vollständige Studie kann ab sofort auf den Seiten des Hochschulforum Digitalisierung (HFD) heruntergeladen werden. Eine Kurzpräsentation mit den Ergebnissen zu den Leitfragen ist ebenfalls verfügbar.