Auf dem ehemaligen Gelände der Nähmaschinenfabrik PFAFF in Kaiserslautern entsteht ein nachhaltiges Wohn-, Gewerbe- und Technologiequartier. Seit 2017 arbeiten wir, das Fraunhofer IESE, in einem Konsortium gemeinsam mit sieben weiteren Partnern auf einem 3,5 Hektar großen Teilbereich des PFAFF-Areals am Musterquartier der Zukunft. Die Arbeiten basieren auf innovativen Technologien und sozialwissenschaftlichen Forschungen, um die Klimaneutralität zu unterstützen.
Unser Verständnis der Digitalisierung als Chance für mehr Klimaneutralität in Städten
Die Digitalisierung spielt auf diesem Weg eine entscheidende Rolle. Sie ermöglicht Komfort und Unterstützungsmöglichkeiten in diversen Lebensbereichen wie Mobilität, Wohnen oder Stärkung einer Gemeinschaft. Für die zukünftigen Bewohner des Quartiers sollen all diese Aspekte erlebbar werden. Unsere Vision ist es, mit Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) das Leben im Quartier unaufdringlich zu unterstützen und damit einen Beitrag zu einem nachhaltigen Handeln zu liefern, um die Klimaneutralität zu unterstützen.
Unser Weg zu mehr Klimaneutralität in Städten
Doch: Wie geht man das Konzept eines digitalen, klimaneutralen Quartiers im Jahr 2029 an? Mit dem Ziel, ein klimafreundliches Leben unaufdringlich zu unterstützen, musste zunächst eine konkrete Vision für IKT für das PFAFF-Quartier angepasst und übertragen werden. Wichtig war uns dabei, die Bürger*innen auch schon direkt zu Beginn als zukünftige Nutzergruppe in den Ideenfindungsprozess miteinzubeziehen. Technische Details konnten dabei vorerst vernachlässigt werden.
Anschließend betrieben wir intensive Recherchen zu bestehenden Ideen und Konzepten aus den Bereichen Mobilität, Energie und Gemeinschaft, welche dann in die anschließende Erarbeitung der Vision 2029 einfließen konnten. Dabei fanden wir zahlreiche spannende Ansätze und Konzepte, darunter Ideen zu Fahrradstädten (z. B. Kopenhagen), Mobilitätsstationen (z. B. in München) und Smart-Home-Anwendungen, die intelligent Licht und Beschattung regeln. Alle genannten Ansätze unterstützen Menschen und deren Umgebung, indem sie Komfort und Klimaschutz vereinen.
Zur weiteren Ideengenerierung wurden viele initiale Ideen und Konzepte in gemeinsamen Workshops mit Forscher*innen aus dem Projekt und Interessierten aus Kaiserslautern konkreter erarbeitet und ausgeweitet. Einige davon wurden aufgegriffen und verfeinert bzw. konkretisiert, z. B. im Rahmen zweier fünftägiger Design Sprints. Durch die Unterstützung diverser Bürger*innen und Expert*innen gelang es unserem Team, zwei konkrete Lösungsprototypen zu erstellen: die Apps »Fish n‘ Tipps« und »Mein MiniLautern«.
Mit der »Fish n’ Tipps« App sollen Nutzer*innen ihr individuelles Verhalten im Hinblick auf Klimaneutralität zu verbessern können, indem sie von der App zum eigenen Verhalten passende Tipps bekommen. »Mein MiniLautern« soll den Nutzer*innen hingegen spielerisch die Auswirkungen neuartiger Mobilitätskonzepte auf die Bewohner*innen des zukünftigen PFAFF-Quartiers näherbringen.
Besonders spannend für unsere Arbeit sind aber auch unsere PFAFF HACKs (s.a. Pfaffhack18 und Pfaffhack19). Bei unseren PFAFF HACKs handelt es sich um 24-Stunden-Hackathons, zu denen bisher schon zwei Mal insgesamt über 80 Interessierte aus Kaiserslautern und Umgebung ans Fraunhofer IESE kamen. Innerhalb der vorgegebenen 24 Stunden konnten die Teilnehmenden in Teams neue Ideen und Lösungen für das klimaneutrale Quartier der Zukunft erarbeiten. Auch im November 2020 wird wieder ein PFAFF HACK stattfinden, diesmal allerdings nicht in den Räumlichkeiten des Fraunhofer IESE, sondern als reine Online-Veranstaltung über mehrere Tage verteilt.
Unsere Kernerkenntnisse
Die Vision des digitalen, klimaneutralen Quartiers 2029 umfasst, wie auch unser Weg dorthin, viele Aspekte und Bereiche. Uns ist es wichtig, die zukünftigen Nutzer*innen in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken, bevor wir uns neuen Lösungsansätzen widmen.
Wer genau sind diese zukünftigen Nutzer*innen? Um diese Frage zu beantworten, eignen sich Personas besonders gut. Mithilfe von Personas lassen sich die vielfältigen Eigenschaften und Besonderheiten der Menschen, die wir ansprechen wollen, detailliert und sehr realitätsnah zusammenfassen. Personas repräsentieren dabei typische Personen unserer Zielgruppen. Sie stehen repräsentativ für Nutzer*innen mit bestimmten Anforderungen und bilden neben Charaktereigenschaften, Fähigkeiten und persönlichen Einstellungen auch demografische Werte ab. Bei der Entwicklung von Lösungen kann man diese immer wieder aus Sicht der Personas prüfen und feststellen, ob die Lösungen für die Zielgruppe angemessen sind. Ines und Leon sind zwei Beispiele solcher Personas.
Für unsere Personas haben wir jeweils unterschiedliche Lösungsideen und Konzepte für unsere zugehörigen Dienste entwickelt, damit sie diese in ihrem alltäglichen Leben bei klimafreundlichem Verhalten unterstützen können. Unsere Konzepte betreffen dabei die verschiedensten Bereiche des täglichen Lebens, u.a. Mobilität, Energie und Gemeinschaft (auch Überlappungen sind dabei möglich).
Um das Anbieten von Diensten einfach und attraktiv zu gestalten, sollen die Nutzer*innen im Stadtquartier 2029 auf eine offene Quartiersplattform zugreifen können, die sowohl als technische als auch als organisatorische Infrastruktur dient. Als soziotechnisches System ermöglicht die Plattform auch die Verwirklichung dienstübergreifender Konzepte, wie beispielsweise ein einheitliches Konzept zur Nutzermotivation. Aus technischer Sicht besteht die grundsätzliche Idee der Plattform darin, Basisdienste bereitzustellen, mit deren Hilfe nutzergerichtete Anwendungen leicht realisiert werden können. Die Plattform ist also eine produktiv eingesetzte Software, welche Dienste anbietet, die von Entwickler*innen verwendet werden, um Apps zu entwickeln.
Aus Sicht der Nutzer*innen ist die Plattform ebenfalls sehr attraktiv. Verschiedene Dienste sind miteinander integriert. Zum Beispiel benötigt ein Nutzender nur ein einziges Profil, um sowohl eine Chatanwendung zu nutzen als auch Carsharing-Angebote zu buchen. Eine dritte Anwendung, welche sowohl die Buchung als auch den Chat in einer Art Mitfahrzentrale bündelt, ist dann ebenso denkbar. Komplexe Lösungen müssen also nicht mehr als eine monolithische Anwendung angeboten werden, sondern können aus kleinen, höherwertigen Services zusammengesetzt sein. Nutzer*innen erkennen damit die eigenen, gewohnten Anwendungen wieder und können nahtlos damit interagieren.
Ein solcher Dienst kann beispielsweise »Lina – die intelligente Mobilitätsassistentin« sein. Lina ist eine digitale Mobilitätsassistentin. Nutzer*innen geben bei Lina ihren gewünschten Zielort, die geplante Ankunftszeit und etwaige Einschränkungen an (z. B. viel Gepäck, keine Toleranz gegenüber Wetter und körperlicher Aktivität). Lina sucht dann nach passenden Mobilitätsketten und gibt Vorschläge dafür, wie man sich am schnellsten und am umweltfreundlichsten zum Ziel bewegen kann. Sie beachtet dabei aber nicht nur die individuelle Anfrage einer Person, sondern auch die Anfragen anderer Nutzer*innen (mit ähnlichem Zielort, ähnlicher Ankunftszeit).
Fallen die Mobilitätsbedarfe zweier Nutzer*innen zusammen, benachrichtigt Lina beide und organisiert die gemeinsame Fahrt, indem sie den Abfahrtsort, die Abfahrtszeit sowie die benötigten Fahrzeuge einplant. In jedem Fall werden benötigte Tickets gebucht und ggf. Sharing-Angebote reserviert. Die Bezahlung erfolgt über den Account der Nutzer*innen. Dabei werden die Kosten für die gemeinsam genutzten Verkehrsmittel automatisch unter den Mitfahrenden aufgeteilt.
Eine weitere Anwendung ist die oben erwähnte App »Fish n‘ Tipps«. Diese App bietet persönliche, auf das eigene Leben und die individuelle Erfahrung zugeschnittene Hinweise und Tipps, um das eigene Handeln umwelt- und klimafreundlicher auszurichten. Jedem Nutzenden wird ein persönliches Haustier in Form eines Fisches zur Seite gestellt. Dieser Fisch repräsentiert das gute Gewissen, die positive Handlung, das klimafreundliche Selbst. Fish n‘ Tipps ist mit anderen Plattform-Apps verbunden und analysiert die Aktionen, die darin vorgenommen werden, auf ihre Bedeutung für das Klima bzw. die Umwelt hin (z. B. wenn ein Carsharing-Auto gemietet wird oder der Energieverbrauch des eigenen Haushalts über die Smart-Home-App abgefragt wird). Passend zu diesen Handlungen gibt der eigene Fisch dann individuelle Tipps aus, die den Nutzer*innen helfen, noch umweltfreundlicher zu handeln oder solches Handeln positiv zu unterstützen. Die Tipps wiederum kommen von allen Nutzenden, die ihre eigenen Erfahrungen, Ideen, Alternativen und Tipps für einen klimafreundlichen Alltag mit anderen über die Plattform teilen. Besonders engagierte oder erfahrenere Nutzer*innen können so wertvolle Ideen und Tipps mit der gesamten PFAFF-Gemeinschaft austauschen, sodass diese schließlich allen zugute kommen.
Damit solche Konzepte und Ideen für vernetzte Dienste schnell ausprobiert und prototypisch umgesetzt werden können, haben wir im PFAFF-Projekt einen weiteren Baustein entwickelt: den Plattform Mock. Hierbei handelt es sich um eine vereinfachte Version der digitalen Quartiersplattform. Ohne Einschränkungen wie Datenschutz oder besondere Stabilität (wie sie für einen produktiven Betrieb nötig sind) können Entwickler*innen sowie Interessierte darin schnell und einfach neue Ideen testen. Der Plattform Mock verbindet die Daten aller Dienste miteinander (z. B. Smart-Home-Daten, Wetterprognosen, Kalendereinträge, Buchungen von Mobilitätsangeboten oder ausgetauschte Chat-Nachrichten) und bietet somit anderen und uns die Möglichkeit auszuprobieren, welche neuen Dienste unaufdringlich helfen können, ein klimafreundliches Leben zu führen, wenn sie miteinander vernetzt sind. Der Plattform Mock wird von uns, den Projektpartnern und Externen, zum Beispiel im Rahmen der PFAFF HACKs verwendet.
Unsere weitere Reise
Unsere Ideen und Konzepte, die wir hier skizziert haben, wollen wir im weiteren Projektverlauf zunehmend konkretisieren und umsetzen. Erste prototypische Dienste existieren hierzu bereits. Der Plattform Mock wird uns helfen, erste Smart-Home-Dienste im Quartier anzuwenden. Unter anderem ist dabei auch der Einbezug smarter Lichtmasten geplant, denn die Quartiersplattform soll künftig auch im Rahmen von Energieanwendungen zum Einsatz kommen. Wir werden dabei unterschiedliche Erfahrungen sammeln und das für uns sehr wertvolle Feedback der ansässigen Bürger*innen nutzen, um mit digitaler Unterstützung echte Mehrwerte auf dem Weg zur Klimaneutralität zu schaffen.
Interesse geweckt?
Mehr Details und ausführliche Erläuterungen zur Vision des digitalen, klimafreundlichen Stadtquartiers liefert Ihnen unser aufwändig gestalteter Bericht. Falls Sie tiefer in die Materie eintauchen und selbst mitmachen wollen, könnte auch der diesjährige PFAFF HACK spannend sein. Weitere Infos und die Anmeldung finden sich unter https://pfaffhack.iese.de. Tauschen Sie sich außerdem gerne mit uns aus.