Das Landleben in Zahlen: Mit dem Projekt »Digitale Dörfer Daten – eine datenbasierte Web-App für Kommunen« möchten wir, das Fraunhofer IESE – wie bereits in einem früheren Blog-Beitrag zum Projekt Digitale Dörfer Daten (DDD) beschrieben – eine Web-App für Kommunen entwickeln, um diese durch die Bereitstellung von Daten bei einem besseren Leben innerhalb ihrer Gemeinden zu unterstützen (z. B. durch Vereinfachung administrativer Prozesse). Um die Planung, Entwicklung und Erarbeitung der Web-App zielführend voranzutreiben, erforderte das weitere Vorgehen zunächst eine Bestimmung, Strukturierung und Kategorisierung einiger Merkmale als Grundlage für die App-Erstellung. Auf Basis der beschriebenen Merkmale sollten dann Daten erhoben, analysiert und am Ende den Kommunen in aufbereiteter Form zur Verfügung gestellt werden.
In diesem Beitrag beschreiben wir, welche Vorgehensweise unser DDD-Team bei der Sammlung der relevanten statistischen Merkmale zur Quantifizierung des Landlebens gewählt hat und zeigen auf, welchen Herausforderungen es dabei bisher gegenüberstand.
Das Landleben in Zahlen: Methoden zur Quantifizierung des Landlebens
Statistische Daten gibt es zur Genüge, aber nicht alle Daten waren und sind für spezifische Frage- und Zielstellungen wie im Projekt DDD auch wirklich relevant. Wichtig ist nämlich vor allem, dass die zu verwendenden Daten für eine zielgerichtete Analyse nützlich sind. Eine Fülle an Daten macht dies jedoch nicht unbedingt einfacher. Um also bei der Vorarbeit zur Entwicklung der Web-App für Kommunen auch wirklich mit zielgerichteten Daten arbeiten zu können, war schon im vornherein klar, dass eine eingeschränkte, aber dafür sehr aussagekräftige Anzahl an Merkmalen zu betrachten sein sollte. In insgesamt zwei aufeinander aufbauenden Arbeitsschritten widmete sich das DDD-Team der genannten Herausforderung, welche wir hier nun beschreiben möchten.
Zu Beginn des Projekts im Dezember 2019 startete das DDD-Team das Vorhaben, das Landleben zu quantifizieren, zunächst mit einem Brainstorming unter Anwendung der Kreativitätstechnik »Pinnwandkarten«. Pinnwandkarten eignen sich bestens, um eine gute Sammlung möglichst vieler Gedanken und Ideen zu generieren und somit möglichst viele Merkmale zu sammeln, die das DDD-Team zur Beschreibung und Analyse des ländlichen Raums nutzen könnte. Dabei waren der Kreativität keinerlei Grenzen gesetzt. Somit konnten auch Merkmale in Betracht gezogen werden, die nicht oder nur schwer bestimmten, sonst üblichen Kategorien (z. B. Demografie) zuzuordnen sind, wie die Anzahl leerstehender Wohngebäude, die Verteilung von Internet-Anschlussarten oder die Anzahl Kilowattstunden an regenerativ erzeugtem Strom innerhalb der Gemeinde.
In einem weiteren Schritt erfolgte dann die Zusammenfassung bzw. Kategorisierung der eben beschriebenen gesammelten Merkmale durch eine Zuordnung der Merkmale zu insgesamt fünf Kategorien: Finanzen, Infrastruktur, Demografie, Soziales und Wirtschaft. Unter Zugrundelegung dieser Kategorien wiederholte das DDD-Team den bereits oben beschriebenen ersten Schritt (Brainstorming mit Pinnwandkarten) und erweiterte die bisherige Merkmalsliste um weitere wichtige Merkmale, die im ersten Schritt noch nicht in die Betrachtung mitaufgenommen worden waren.
Merkmalsbeschreibungen zur weiteren Merkmalsdefinition des Landlebens
In einem nächsten Schritt übertrug das DDD-Team die ermittelten Kategorien inkl. der identifizierten Merkmale als Grundlage für weitere Fragestellungen in eine Excel-Liste. Dabei erfolgte zugleich eine Erweiterung der bisherigen Merkmalsliste um folgende Eigenschaften bzw. Informationen:
- Merkmal: Um welches Merkmal handelt es sich?
- Merkmalsausprägung: In welcher Einheit wird das Merkmal gemessen und erfasst? Beispiele könnten »€«, »%«, »Anzahl«, »Kilometer« oder »Minuten« sein, je nachdem, um welches Merkmal es sich handelt.
- Statistische Einheit: Auf welche statistische Einheit bezieht sich das Merkmal? Beispiele könnten bei relativen Merkmalen »je Einwohner« oder bei Steuereinnahmen »je Steuerart« sein. Meistens bezieht sich ein Merkmal aber auf die Verwaltungseinheit (z.B. Ortsgemeinde), die betrachtet wird.
Bei der Verfeinerung der Merkmalsliste galt es stets die gewünschte Datenerhebung sowie das Erkenntnisinteresse zu bedenken. Schließlich können Daten zu einem Merkmal auch zu unterschiedlichen Informationen führen, je nach Ausprägung. So ist es z. B. ein Unterschied, ob etwa die Anzahl der erzeugten Kilowattstunden innerhalb einer Gemeinde erhoben werden soll oder die Art der Erzeugung, wie Energieerzeugung durch Solar- oder Windenergie. Die Interpretation kann an dieser Stelle zu unterschiedlichen Ergebnissen führen und muss bei jedem einzelnen Merkmal gut durchdacht sein. Um abzusichern, dass wirklich klar ist, welche Merkmalseigenschaften abgefragt werden sollen, nahmen sich zwei unabhängig voneinander agierende Gruppen innerhalb des DDD-Teams die verschiedenen Merkmale vor, um sie hinsichtlich ihrer Aussagekraft zu überprüfen. Die dabei entstandenen wenigen Abweichungen wurden schließlich beim Abgleich der Listen im gesamten Team diskutiert und aneinander angeglichen bzw. vereinheitlicht. Für die zuvor gesammelten Merkmale entstand somit folgende detailliertere Liste:
Auch bei dieser Liste folgte schließlich nochmals eine Ergänzung um eine weitere Rubrik, nämlich das »Erkenntnisinteresse«. Mit dem Erkenntnisinteresse sollte beschrieben werden, was mit dem Merkmal gemessen werden soll bzw. warum Merkmale oder Merkmalsausprägungen von Interesse sind. Hierfür gab und gibt es vielfältige Intentionen:
- Es sollten ggfs. Merkmale identifiziert werden, hinter denen das gleiche Erkenntnisinteresse steckt.
- Sollten zu einem Merkmal mit einem gewissen Erkenntnisinteresse keine Daten gefunden werden, könnte sich das Projektteam um Merkmale mit ähnlicher Aussage bzw. Aussagekraft bemühen.
- Das Hinterfragen, wieso ein Merkmal von Interesse sein könnte, ermöglichte es dem DDD-Team, weitere Anregungen für bisher unberücksichtigte Merkmale zu generieren.
Dateninterpretation – Herausforderung der Aussagekraft der gesammelten Daten zum Landleben
Datenerhebungen sind gut, doch was am Ende wirklich zählt, ist die Interpretation und damit die finale Aussagekraft der zuvor gesammelten Daten. Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn während sich einige Bereiche des Landlebens sehr einfach messen und interpretieren lassen, ist das für andere schwieriger.
Quantitative Daten sind leicht zu messen. Das sind beispielsweise Themen, die im Zusammenhang mit Finanzen oder Demografie stehen. Diese Merkmale, wie der Schuldenstand einer Gemeinde oder das Durchschnittsalter der Bevölkerung, werden ohnehin quantifiziert und durch Statistische Landes- und Bundesämter erfasst. Diese können durch unterschiedliche statistische Methoden entsprechend aufbereitet und veranschaulicht werden. Schwieriger zu erfassen sind hingegen die qualitativen Daten einer Gemeinde. Für das Bewerten von sozialen Strukturen oder eines aktiven Gemeindelebens können zwar ggfs. Zahlen herangezogen werden, z. B. die Anzahl an Vereinen einer Gemeinde und deren Vereinsmitglieder – jedoch können diese Informationen auch Verzerrungen aufweisen (z. B. durch Einbezug passiver Mitglieder oder Einbezug von Vereinsmitgliedern mit Wohnort in einer anderen Gemeinde).
Ebenfalls herausfordernd sind ungenaue oder nicht verfügbare Informationen. Betrachten wir die Lage einer Gemeinde im Land und ihre infrastrukturelle Anbindung, so ist die Distanz zur nächsten Autobahn oder weiterführenden Schule schwer einheitlich messbar. Wo beginnt die Distanz? Die Ortsmitte ist nicht einheitlich definiert, auch eine Kirche oder das Gemeindehaus stehen nicht immer an einem bestimmten Punkt in den Gemeinden. Des Weiteren würde eine Messung voraussetzen, dass die Geokoordinaten einer jeden Autobahnauffahrt oder weiterführenden Schule verfügbar wären. Das ist nach der aktuellen Datenlage nicht der Fall.
An dieser Stelle entschied sich das DDD-Team dazu, die Fahrzeit zu den nahegelegenen Mittel- und Oberzentren als Richtwert zu nehmen. Dadurch wird die Anbindung an das Straßennetz implizit gemessen, da eine nahe Autobahnauffahrt oder eine kurze Distanz zu einer größeren Stadt in einer geringen Fahrzeit resultiert. In den Mittel- und Oberzentren sind dann in der Regel Einrichtungen wie weiterführende Schulen, Universitäten oder größere Kultureinrichtungen verfügbar.
Sehr schwer zu quantifizieren sind weiche Faktoren, wie der Zusammenhalt in einer Gemeinde oder die Aktivität des Dorflebens. Einige Merkmale, die dabei helfen können, weiche Faktoren zu messen, sind – wie vorhin schon genannt – die Anzahl an Vereinen pro Gemeinde, die Anzahl der Vereinsgründungen in einem Jahr und die Anzahl der ehrenamtlich engagierten Personen in Vereinen, Verbänden oder sozialen Diensten. Die quantifizierten Daten können an dieser Stelle als Orientierung dienen, wie gut der Zusammenhalt in einer Gemeinde eingestuft werden könnte. Diese denkbare Interpretation erfordert allerdings in erster Linie erfasste Daten zu eben solchen Merkmalen, um diese in weiteren Analysen zu verarbeiten und zu bewerten. Denn obgleich diese Merkmale schwer zu messen sind, so sind sie für die Vergleichbarkeit von Gemeinden dennoch von großer Bedeutung. Schließlich definiert sich eine Gemeinde nicht nur über die Einwohnerzahl oder das zugrunde liegende Einkommen. Das soziale Gefüge einer Gemeinde ist von enormer Relevanz, wenn es um die Zukunft von Gemeinden geht.
Ob und wie das DDD-Team für genau solche Merkmale Daten erhalten könnte, war zunächst noch unklar. Letztendlich wurde es allerdings von der Realität eingeholt und musste bei der Datenerhebung feststellen, dass es in der Realität kaum möglich ist, einheitlich erhobene Daten zu den meisten weichen Faktoren zu den Gemeinden in Rheinland-Pfalz zu erfassen.
Wie das DDD-Team mit dieser Nichtverfügbarkeit der Daten umgegangen ist, wo und wie das Team verfügbare Daten erhoben hat und wie die Daten weiterverarbeitet wurden, beschreiben wir in unserem nächsten Blogbeitrag Datenquellen, -erhebung und -analyse der Digitalen Dörfer Daten.