Digitale Plattform – ein Begriff mit vielen Bedeutungen. Gerade wenn es um die Digitalisierung in einer Stadt geht, ist die digitale Plattform ein wichtiger Schritt hin zur Smart City. Am Fraunhofer IESE begleiten wir nicht nur Smart Cities auf dem Entwicklungsweg, sondern beschäftigen uns ebenfalls mit den Plattformen, die von ihnen verwendet werden können. Möglich sind Datenplattformen, Handelsplattformen, Plattformen für Vereine und Sportgruppen, Plattformen zur Bürgerbeteiligung, aber auch sogenannte Dashboards. Dabei fällt auf, dass die Vorgehensweisen so individuell sind wie die Städte selbst. Wir haben verschiedene Vorgehensweisen beobachtet und ordnen sie in diesem Artikel ein.
Ob man nun vom sozialen Netzwerk, dem Vergleichsportal oder der Suchmaschine spricht – eines haben sie alle gemeinsam: Es handelt sich bei ihnen um digitale Plattformen. Genau das könnte bei der Einführung von Plattformen in Städten ein Problem sein. Sprechen Stadtverwaltung und Bürgerinnen und Bürger von der gleichen Plattform? Welches Ziel soll mit der Plattform verfolgt werden? Erreicht sie alle Bürgerinnen und Bürger, und soll sie das überhaupt? Beim Begriff »digitale Plattform« meinen wir in diesem Artikel eine Software, die verschiedene Akteure digital vernetzt. Dabei werden Daten von allen beteiligten Seiten auf einer solchen digitalen Plattform zentral verarbeitet und anwendergerecht aufbereitet.
Gerade während der Corona-Pandemie wurden Lösungen gesucht, um Services, Geschäfte und Informationen aller Art so schnell wie möglich online anzubieten. Auch wenn dies die Digitalisierung an einigen Punkten stark vorangetrieben hat, hat es auch zu vielen inzwischen ungenutzten und stillgelegten Plattformen geführt. Mit dem Ende der amtlichen Corona-Maßnahmen war schlichtweg der Bedarf nicht mehr gegeben, und es konnte zum ursprünglichen Vorgehen zurückgekehrt werden. Aber woran liegt das?
Sind Handelsplattformen ein guter erster Schritt zur Digitalisierung?
Das Phänomen stillgelegter Plattformen lässt sich am Beispiel des Online-Handels gut erklären: Wir vom Fraunhofer IESE begleiteten eine Kreisstadt mit ca. 50.000 Einwohnern, die mit dem Start der Pandemie eine Übersicht all ihrer Geschäfte online anbot. Die Übersicht, die von der Kommune selbst ins Leben gerufen wurde, war nutzerfreundlich gestaltet und enthielt viele Informationen zu den verschiedenen Geschäften der Stadt, die es Bürgerinnen und Bürgern trotz Lockdown ermöglicht hätten, Kontakt zum jeweiligen Händler aufzunehmen.
Es stellte sich jedoch heraus, dass es sehr schwer war, die Händler für die Informationsseite zu gewinnen. Viele Händler mussten überzeugt werde, einige lehnten eine Internetpräsenz im Allgemeinen ab. Als die Kommune nun aber eine weitere Lösung für digitalen Handel in Form einer Handelsplattform vorschlug, zeigte sich erst das Ausmaß des ursprünglichen Problems: Es fehlte nicht nur das Interesse der Händler, sondern es fehlten auch die technischen Möglichkeiten, um die Chancen einer Handelsplattform als konkrete Ausprägung einer digitalen Plattform zu nutzen. Während eine Handelsplattform für Käufer einen Online-Einkauf ohne besondere technische Voraussetzungen bietet, müssen Händler komplexere technische Voraussetzungen für die Teilnahme an einer solchen digitalen Plattform erfüllen. Noch heute bringen einige sehr kleine, inhabergeführte Geschäfte nicht die personellen Kapazitäten für einen zusätzlichen Online-Handel mit. Dies ist häufig im Fehlen eines Warenwirtschaftssystems begründet, was bedeutet, dass Preisänderungen und Artikelverkäufe händisch erfasst werden müssen. Ein paralleler Verkauf im Geschäft vor Ort und das zusätzliche Pflegen des Online-Verkaufs ist daher für viele Geschäfte undenkbar.
Gleichzeitig gab es einige Geschäfte, die bereits online sehr aktiv waren. Zwar waren sie an ein Warenwirtschaftssystem angebunden, wodurch sie gute Grundvoraussetzungen für einen automatisierten Online-Verkauf mitbrachten, jedoch waren diese Inhaberinnen und Inhaber meist so technisch versiert, dass sie bereits einen eigenen Onlineshop hatten oder an bestehenden, nicht lokalen, Handelsplattformen angebunden waren. Die Anbindung an eine (weitere), noch dazu neue, Handelsplattform hätte sich also von Anfang an für die Händler lohnen müssen. Diese Situation kann auch als Henne-Ei-Problem beschrieben werden, denn Handelsplattformen können sich am ehesten für alle lohnen, wenn sie gut besucht werden, jedoch muss diese kritische Mindestanzahl an Kunden und Händlern erst einmal erreicht werden [1].
Das Henne-Ei-Problem
In der Anfangsphase haben viele digitale Plattformen Schwierigkeiten, genügend Nutzerinnen und Nutzer auf beiden Marktseiten zu gewinnen – das sogenannte Henne-Ei-Problem. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob zuerst die Anbieter- oder die Nachfrageseite aufgebaut werden soll. Das Beispiel einer neuen App für Essenslieferungen soll dies verdeutlichen: Restaurants müssen sicherstellen, dass genügend Restaurantgäste auf der digitalen Plattform registriert sind, bevor sie ihre Menüs und Gerichte anbieten. Die Restaurantgäste erwarten jedoch eine große Auswahl an Restaurants, bevor sie die digitale Plattform nutzen, da sie sonst keine Gerichte bestellen können. Die Lösung dieses Problems besteht in der Entwicklung von Strategien, die sicherstellen, dass beide Marktseiten Anreize zur Teilnahme haben und sich nach und nach an der digitalen Plattform beteiligen. Diese Herausforderungen sind für jede digitale Plattform einzigartig, und folglich gibt es auch keine allgemeingültige Strategie. Vielmehr geht es darum, maßgeschneiderte Lösungsansätze zu definieren, die im konkreten Kontext sinnvoll sind. Am Fraunhofer IESE haben wir daher eine Methode entwickelt, um dieses Problem zu adressieren: Der NfX Construction Guide unterstützt Sie in der Praxis dabei, das Henne-Ei-Problem für Ihre Plattform zu lösen.
Oder sollte eine Kommune es doch zuerst mit einer Datenplattform versuchen?
Urbane Datenplattformen (UDPs) sind eine weitere Variante einer digitalen Plattform und bereits in einigen Städten und Kommunen das Herzstück auf dem Weg zur Smart City [2]. Nicht selten werden UDPs in Förderprogrammen adressiert, weil sie ein wichtiger und sinnvoller erster Schritt bei der Digitalisierung sind. Städte können zum Beispiel Klimadaten, Verkehrsdaten oder Verwaltungsdaten sammeln, auswerten und weiterverarbeiten, damit die Stadtgesellschaft von diesen Daten profitieren kann. Die Ergebnisse können dabei nicht nur von der Verwaltung selbst verwendet, sondern auch der Bevölkerung über Dashboards zur Verfügung gestellt werden. Beispielhaft kann hier das Mobilitätsdashboard der Stadt Aachen genannt werden [3]. Andere Städte stellen ihre Datensätze wiederum offen zur Verfügung, wie z. B. gemäß der Open-Data-Strategie der Stadt Bonn [4]. UDPs sind, im Vergleich zu Handelsplattformen, nicht davon betroffen, dass sie eine Mindestanzahl von Nutzern benötigen, weil kein wirtschaftlicher Gewinn im Vordergrund steht.
UDPs sorgen so für die strukturierte Sammlung von Daten und, wenn diese für die Bevölkerung zugänglich gemacht werden, auch für mehr Transparenz. Sie setzen aber auch voraus, dass Daten eine gewisse Qualität mitbringen, um sie verarbeiten zu können. Auch muss die Stadt die nötigen Ressourcen mitbringen, um die Plattform am Leben zu halten. So kommt es leider nicht selten dazu, dass nach dem Ende der Förderung Plattformen wieder abgestellt werden müssen, wenn Kommunen nicht genügend fachkundiges Personal haben oder die technischen Voraussetzungen nicht allein stemmen können. In sehr kleinen Kommunen zeigt die Erfahrung, dass es auch sehr engagierte Privatpersonen sein können, die ihre Stadt mit Know-how oder mit der Bereitstellung von Servern unterstützen. Andere Kommunen schließen sich zu einem Verbund zusammen, um ihre Ressourcen zu teilen. So beispielsweise die Städte Kaiserslautern und Kusel im »Südwest Cluster« [2]. Dies zeigt vor allem eins: Voraussetzungen, Stakeholderbeteiligung, Ressourcen und Gründe für oder gegen eine Plattform sind einzigartig, und deshalb betrachten wir sie auch so: individuell.
Was ist nun der beste erste Schritt zur Digitalisierung?
Um herauszufinden, welche Lösung zu welchen kommunalen Voraussetzungen passt, fertigen wir am Fraunhofer IESE Studien an, um konkrete Handlungsempfehlungen aussprechen zu können. Im Beispiel der oben genannten Kommune, die als ersten Schritt eine Handelsplattform wählte, stellte sich heraus, dass eigentlich nicht der reine Verkauf von Waren im Fokus der Kommune stand. Vielmehr sollte eine Plattform entstehen, die Händlern, Hoteliers, Gastronomen und Veranstaltern ermöglicht, Angebote sichtbar zu machen. Die reine Handelsplattform allein hätte daher das eigentliche Ziel nicht erreicht. Als klares Fazit ließ sich für diese Kommune demnach festhalten, von der Handelsplattform Abstand zu nehmen und anhand der vorherrschenden Bedarfe eine neue Zielvorstellung zu formulieren.
Gründe für oder gegen eine digitale Plattform in der Smart City können also verschieden sein. Es lohnt sich, genau zu analysieren, welche Voraussetzungen eine Kommune mitbringt, da die Digitalisierungsprozesse der Kommunen unterschiedlich fortgeschritten sind. Forschungsprojekte sind kein Muss, um mit einer Datenplattform zu starten. Auch hier können die Beweg- und Startgründe so unterschiedlich sein wie die Stadt oder Kommune selbst. Wir am Fraunhofer IESE helfen dabei, die Beweggründe und Motivationen von Städten und Kommunen zu identifizieren. Nur so können Vision und Bedarf sinnvoll verbunden werden.
Sie haben weitere Fragen zur Digitalisierung Ihrer Kommune? Schreiben Sie uns gern!
[1] Bartels, N., & Schmitt, A. (2022). Developing network effects for digital platforms in two-sided markets – The NfX construction guide. In Digital Business (Vol. 2, Issue 2, p. 100044). Elsevier BV. https://doi.org/10.1016/j.digbus.2022.100044
[2] Smart City Dialog. Urbane Datenplattformen – Das Herzstück der Smart City. Abgerufen am 16. August 2024, von https://www.smart-city-dialog.de/informieren/aktuelles/urbane-datenplattformen-das-herzstueck-der-smart-city
[3] Stadt Aachen. Mobilitätsdashboard der Stadt Aachen. Abgerufen am 16. August 2024, von https://verkehr.aachen.de/
[4] Stadt Bonn. Open Data Bonn. Abgerufen am 16. August 2024, von https://smartcity.bonn.de/open-data/index.php