Verschlingen persönliche KI-Assistenten unsere Apps?

Der Traum von einer persönlichen Assistenz, die Wünsche nahezu magisch erfüllt, ist dank innovativer KI-Technologien in greifbare Nähe gerückt. Neuartige Geräte bestärken die Hoffnung, dass diese Vision bald Realität wird. Auch wenn die Technik heute noch nicht alle Erwartungen erfüllt, stellt sich eine entscheidende Frage: Was wird aus den klassischen Apps, wenn eine Künstliche Intelligenz unsere Anliegen erfüllt – ohne dass wir noch unser Smartphone in die Hand nehmen müssen? Und was bedeuten KI-Assistenten für die Entwicklung von Apps?

Intelligente Alltagsbegleiter

Der »Ai Pin« von Humane und der »Rabbit r1« von Rabbit Inc. haben Aufsehen erregt. Mit dem Versprechen, ihren Nutzerinnen und Nutzern echte persönliche Assistenten zur Seite zu stellen, sind die Geräte angetreten, um den Alltag zu revolutionieren. Ausgestattet mit großen Sprachmodellen, generativer Künstlicher Intelligenz und – im Fall des Rabbit r1 – eines Large Action Models (LAM), sollen sie in der Lage sein, Spracheingaben präzise zu verstehen, Befehle darin zu erkennen und vor allem diese direkt auszuführen: Etwa einen Tisch im Restaurant zu reservieren, einen Friseurtermin auszumachen, oder gleich einen ganzen Urlaub zu planen und zu buchen.
Die Idee ist nicht neu, denn Siri, Google Assistant oder Alexa versprechen im Kern dasselbe. Es gibt zwei wesentliche Unterschiede: Die neue Generation der KI-Assistenzen (eine Form von KI-Agenten) verspricht wirkliche Effizienzsteigerung, da sie komplexe Anfragen schneller erledigen kann sowie ein konsistentes Nutzungserlebnis ohne Brüche zwischen Interaktionsformen und Software-Anwendungen erlaubt. Dies wird vor allem dadurch bewerkstelligt, dass die Assistenten als eigenständige Geräte daherkommen und sich vom bisher vorrangig genutzten Smartphone mit seinen Apps entkoppeln.

Die KI-Assistenten werden kommen

Der Erfolg der »alten Sprachassistenten« ist, gelinde gesagt, fragwürdig: Oftmals sind Siri und das Pendant von Google lediglich die Stimmen aus dem Smartphone, die unverhofft zu sprechen beginnen – meist versehentlich aktiviert statt bewusst genutzt. Auch sind die erledigten Aufgaben in der Regel eher profaner Natur: Musik abspielen, Geräte im eigenen Zuhause steuern und Anrufe tätigen sind die meistgenutzten Anwendungsfälle [1]. Doch auch die KI-Assistenten der neuesten Generation haben ihr Versprechen bislang nicht erfüllen können: Die Technik hat sich als nicht ausgereift herausgestellt; der Nutzen für Anwenderinnen und Anwender ist (noch zu) gering [2].

Der Gedanke ist jedoch gesät und Fortschritte sowohl im Bereich der tragbaren Hardware (Wearables) als auch der großen Sprachmodelle (LLMs) werden dafür sorgen, dass die nächsten Generationen auf den Markt kommen – dann vielleicht sogar von einem der marktdominierenden Internetgiganten. Diese könnten der Vision eines echten persönlichen Assistenten näherkommen, der eine Vielzahl kleiner und großer Aufgaben auf Smartphones oder anderen digitalen Endgeräten auf Zuruf übernimmt.
Dies hat allerdings nicht nur Auswirkungen auf Nutzende und ihre bisher genutzten Geräte. Denn was bedeutet es für Software-Hersteller von Smartphone-Apps, wenn Menschen künftig nicht mehr »Uber nutzen«, sondern der KI-Assistent eine Fahrt bucht? Wenn sie nicht »Tripadvisor befragen«, sondern der KI-Assistent einen Tisch im passenden Restaurant reserviert? Wenn sie nicht »Spotify starten«, sondern der KI-Assistent die Tophits des Lieblingsgenres auswählt?

App-Entwicklung für KI-Assistenten mit Personas

Apps werden nicht bedeutungslos, aber anders

Die nächste Generation der KI-Assistenten wird besser sein: Sie wird schneller reagieren, Sprache und Gestik angemessen verstehen und verlässlichere Ausgaben produzieren. Doch sie liefert nicht eigenständig die Funktionen, die bisher in dezidierter Software implementiert sind. Stattdessen werden die KI-Assistenten weiterhin auf Dienste von Softwareanbietern angewiesen sein, die auf Basis eines jahrelang aufgebauten Datenschatzes und ihrer Etablierung im Markt einen auf lange Sicht nicht einholbaren Vorsprung haben. Das kann beispielsweise das detaillierte Verständnis über Musikgeschmäcker von Spotify sein, auf dessen Basis das perfekte nächste Musikstück vorgeschlagen werden kann. Oder die nahezu vollständige Verfügbarkeit von Hotels auf Booking.com, das sich als die Anlaufstelle für Unterkünfte durchgesetzt hat.
Wenn Nutzerinnen und Nutzer nun ihren KI-Assistenten befragen, statt die konkrete App, hat das zur Folge, dass Dienste (nahezu) »unsichtbar« werden. Das wiederum bedeutet, dass Apps, Webseiten und andere Dienste mit ihren Oberflächen nicht mehr den menschlichen Nutzerinnen und Nutzern »gefallen« müssen. Stattdessen müssen diese Dienste über Schnittstellen relevante und auswertbare Informationen liefern, die die KI-Assistenten ihren Nutzerinnen und Nutzern dann adäquat präsentieren. Damit das gelingt und ihre Dienstleistungen weiterhin gefunden und genutzt werden, müssen Software-Entwicklerinnen und -Entwickler Maßnahmen ergreifen.

Der KI-Assistent als zentraler Nutzer

Es geht also darum, die Informationen KI-gerecht aufzubereiten und zugänglich zu machen. Eine Methode, die in der klassischen Software-Entwicklung genutzt wird, um die Software nutzergerecht zu entwickeln, sind Personas. Personas dienen dazu, (menschliche) Bedürfnisse, Verhaltensweisen und Ziele bezüglich einer Softwarelösung zu verstehen und anhand fiktiver Personen, die bestimmt gemeinsame Bedürfnisse vereinen, abzubilden. Bisher denken wir bei Personas an Menschen – doch in Zukunft wird der KI-Assistent möglicherweise der wichtigste »Nutzer« einer Software sein.

Personas für künstliche Intelligenz

Auf den ersten Blick mag es ungewöhnlich erscheinen, einer oder mehreren KIs eine eigene Persona zu widmen – und sicher wird es nicht dieselbe Persona-Vorlage sein, die diese besonderen Nutzergruppen abbildet. Doch eine Künstliche Intelligenz, mit einem möglichen Eigenleben, zumindest aber einer eigenen Logik und Funktionsweise, zeigt ein spezifisches Verhalten und eigene Bedarfe, die wir verstehen müssen. Verschiedene KI-Assistenten können dabei unterschiedliche Anforderungen und Einsatzkontexte aufweisen. Bei der Betrachtung von KI-Personas ist es wichtig deren Ziele, Entscheidungslogik, Kommunikationsstil, Werte, sowie Grenzen zu verstehen. Diese Personas gleichberechtigt neben die sonstigen Nutzergruppen zu stellen, betont die Wichtigkeit bzw. die potenziellen Auswirkungen, die KI-Assistenten auf die Gestaltung von Schnittstellen oder sogar ganzen Lösungskonzepten haben.

Wir sehen KI-Assistenten nicht nur als Werkzeuge, sondern als eigene Nutzergruppen an, deren Bedürfnisse wir ebenso präzise analysieren sollten wie die der Menschen, mit denen sie kommunizieren. Mit Personas für beide, Menschen und KI-Assistenten, kann eine ganzheitliche Gestaltung von Softwarelösungen gelingen, die sowohl den Anforderungen menschlicher Nutzer als auch denen künstlicher Systeme gerecht werden.

Horizontale und Vertikale KI-Assistenten
In diesem Beitrag liegt unser Fokus vor allem auf der privaten Nutzung von horizontalen, sprich generell nutzbaren KI-Assistenten, die für viele Zwecke und über verschiedenste Themenfelder hinweg genutzt werden. In Unternehmen beobachten wir einen ähnlichen Trend: Der Einsatz vertikaler KI-Assistenzsysteme, die gezielt spezifische Aufgaben innerhalb bestimmter Unternehmensbereiche übernehmen. Beispielsweise ein KI-Assistent der Sales-Abteilung, der Daten aus Produktionssystemen analysiert und für den Vertrieb aufbereitet. Diese KI-Assistenten fördern durch ihre umfangreiche Datenanalyse nicht nur die bereichsübergreifende Zusammenarbeit, sondern bieten auch die Möglichkeit, Prozesse zu optimieren und Entscheidungen datengetrieben zu steuern.

Heute an die KI-Assistenten von morgen denken: App-Entwicklung für KI-Assistenten

Wir am Fraunhofer IESE arbeiten daran, die Auswirkungen von KI-Assistenten auf die Softwaregestaltung zu analysieren und entsprechende Handlungsempfehlungen vorzubereiten. Neben der Erstellung einer Schablone für KI-Assistenten-Personas konzentrieren wir uns auf Maßnahmen, die softwareentwickelnde Unternehmen schon heute ergreifen müssen, um morgen noch relevant zu sein.

Nutzerzentrierung als Schlüssel zur Relevanz

Relevanz ist hierbei das zentrale Stichwort: Die Nutzerinnen und Nutzer stehen stets im Mittelpunkt. Ihnen zuzuhören und ihre Bedürfnisse zu erfüllen, ist der entscheidende Faktor für zukunftsfähige Softwarelösungen. Software muss solch hohen Mehrwert bieten, dass Nutzerinnen und Nutzer fordern, dass KI-Assistenten sie kennen und ansprechen.

Interoperabilität als Grundlage

Für eine »Ansprache« bedarf es einer technischen Grundlage, sodass KI-Assistenten eine Softwarelösung nahtlos nutzen können. Eine Nutzerschnittstelle (UI = User Interface) genügt hierfür nicht mehr. Die Zukunft liegt in der Interoperabilität zwischen Systemen. Die Programmierschnittstellen (APIs) werden mindestens ebenso wichtig wie (Teil-)UIs sein, da sie den Zugang zu den Funktionen und Diensten einer Software ermöglichen. Daher unsere Entscheidung, auch KI-Assistenten Personas zu widmen, um ihre Integration in Software systematisch zu planen.

Ausblick auf die Zukunft von Software und KI-Assistenten

Ob sich ein konkreter oder mehrere KI-Assistenten flächendeckend durchsetzen werden, ist heute nicht vorhersagbar. Doch es deutet vieles darauf hin, dass eigenständige App-Lösungen an Bedeutung verlieren. KI-Assistenten nehmen den Nutzerinnen und Nutzern die Auswahl der Services ab und bereiten die Ergebnisse entsprechend ihrer eigenen Logik und Präferenzen auf.

Herausforderungen und Chancen für zukunftsfähige Softwarekonzepte

Ein zukunftsfähiges Softwarekonzept muss folglich so gestaltet sein, dass es auch dann funktioniert, wenn Nutzerinnen und Nutzer die Oberfläche der Software gar nicht sehen. Was bei Musiksteuerung und Navigationssystemen in Fahrzeugen längst Standard ist, stellt in anderen Bereichen wie sozialen Medien oder komplexen Business-Anwendungen eine enorme Herausforderung dar. Die Fähigkeit, in verschiedenen Kontexten und über verschiedene Schnittstellen hinweg nahtlos zu funktionieren, wird zum entscheidenden Faktor für den Erfolg.

Eine spannende Entwicklung beginnt, die nicht nur die Art und Weise verändert, wie wir Software nutzen, sondern auch, wie wir sie gestalten und entwickeln müssen. Die Vorbereitung auf diese Transformation ist heute entscheidend, um morgen wettbewerbsfähig zu bleiben.

Machen Sie Ihre Software fit für die KI-Zukunft

Wenn auch Sie vor der Herausforderung stehen, Ihre Software »AI-Agent-Ready« zu gestalten, stehen wir Ihnen gerne zur Seite. Gemeinsam entwickeln wir innovative Lösungen, die Ihre Anwendungen nahtlos in die Welt der KI-Assistenten integrierbar machen.
Sprechen Sie uns gerne an – wir freuen uns auf den Austausch!

Referenzen

    1. https://bitkom-research.de/news/musik-anrufe-smart-home-dafuer-wird-sprachsteuerung-genutzt
    2. https://www.theverge.com/24126502/humane-ai-pin-review, https://www.wired.com/review/rabbit-r1/