Drei BMEL geförderte Projekte stellen sich vor
Ländliche Regionen in Deutschland sind mit einer Reihe typischer Herausforderungen konfrontiert, wie Landflucht, fehlende Beschäftigungsmöglichkeiten, unzureichende Bereitstellung von Dienstleistungen und mehr. Neue Technologien bieten besondere Chancen für den ländlichen Raum. In vielen Berufszweigen ist es möglich, im Home-Office zu arbeiten, was die ländlichen Gegenden attraktiver macht. Weitere nennenswerte Bereiche, die das Potenzial haben, räumliche Gegenden zu verbessern, sind Telemedizin, (Aus-)Bildung, Roboter, E-Government oder E-Commerce. Allerdings fehlt oft ein Überblick, und es mangelt an Vernetzung zwischen den umfangreichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Deutschland. An diesem Punkt setzt das Verbund- und Technologieprojekt X-KIT an. In X-KIT wurden drei Forschungsprojekte des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Bereich Künstliche Intelligenz (KI) in dem Cluster »Ländlicher Raum« zusammengefasst. Diese Projekte untersuchen die Chancen neuer Technologien für den ländlichen Raum. In den KI-Projekten werden spezielle KI-Anwendungen prototypisch erprobt und intensiv die Vor- und Nachteile der Anwendungen beleuchtet.
Herausforderungen für den ländlichen Raum allgemein
Der ländliche Raum in Deutschland steht vor vielen Herausforderungen. Mangelnde Jobperspektiven bewirken Landflucht und junge Menschen verlassen ihre Dörfer, um für das Studium oder die Ausbildung in Städte zu ziehen. Viele bleiben dann dort und kehren nicht zurück. Dies sorgt insgesamt für einen Fachkräftemangel im ländlichen Raum und eine Überalterung der Bevölkerung, was massive Auswirkungen auf die demografische Struktur auf dem Land hat (mehr Infos).
Weitere Aspekte sind der Ärztemangel, welcher gerade auf dem Land immer spürbarer wird. Des Weiteren nimmt das ehrenamtliche Engagement in den Vereinen ab. Auch der Austausch zwischen den Generationen verringert sich. Eine Tendenz zur Vereinsamung wird sichtbar, was sich seit den Corona-Maßnahmen weiter verschärft hat (mehr Infos).
Durch die Digitalisierung besteht die Möglichkeit, diesen Entwicklungen entgegenzusteuern. Ein wichtiges Fundament für eine positive Entwicklung im ländlichen Raum ist eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur. Das Potenzial vieler Technologien kann nur dann ausgeschöpft werden, wenn die Infrastruktur, wie Breitbandausbau und mobiles Internet, zur Verfügung steht.
Dennoch ist Technologie allein noch keineswegs ein Garant für eine positive Entwicklung: Im Kontext von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz besteht eine Lücke zwischen den technologischen Möglichkeiten und den Kompetenzen der Menschen, denen es an digitalen Fähigkeiten fehlt.
In den zwei Bereichen der Lebensmittelkette und Nahversorgung kann Digitalisierung einen enormen Beitrag für den ländlichen Raum leisten. Diese zwei Bereiche werden im Projekt X-KIT durch die Projekte SMAEG-Bot, KI-Pilot und Stadt-Land-Fluss vernetzt und sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden.
Gastautor: Sam Kopp, M.Sc.
Sam Kopp arbeitet in der AG Verteilte Systeme und Künstliche Intelligenz des Instituts für Softwaresysteme am Umwelt-Campus Birkenfeld. Seine Expertise liegt im Bereich der Entwicklung von verteilten Systemen und Plattformen für Web und mobile Endgeräte. Zurzeit übernimmt er Aufgaben im BMEL-Forschungsprojekt KI-Pilot.
Herausforderungen und Risiken von KI-Technologien für den ländlichen Raum (KI-Pilot)
Einen Beitrag zur Schließung der Lücke zwischen den technologischen Möglichkeiten und den Kompetenzen der Menschen leistet das Forschungsprojekt KI-Pilot des Umwelt-Campus Birkenfeld, einem ländlichen Standort der Hochschule Trier. In diesem Projekt wird der Wissenstransfer von KI-Technologien im ländlichen Raum gezielt gefördert. Dies erfolgt über vier wesentliche Strategien: 1) KI-Werkzeuge, 2) Transfer, 3) Vernetzung und 4) Demonstratoren.
Im Projekt werden einsteigerfreundliche KI-Werkzeuge in Form von Software (fertige Toolboxen/Softwarebausteine mit KI-Algorithmen) und Hardware (eigens entwickelte Edge-AI-Platine) geschaffen, mit denen KI-Vorhaben zur schnelleren Innovation und Prototyping unterstützt werden können.
Um die Vernetzung und den Transfer zu stärken, werden im Projekt mehrere Web-Plattformen entwickelt. Diese ermöglichen es, Daten für KI-Algorithmen auszutauschen oder Unternehmen mit KI-Experten zu vernetzen. Weiterhin entsteht auch eine Lern- und Weiterbildungsplattform, auf der Lerninhalte zum Thema Künstliche Intelligenz für ein Selbststudium veröffentlicht werden. Zusätzlich wurden am Umwelt-Campus mit dem Startup-Lab und dem KI-Reallabor zwei Institutionen für Schüler, Studierende, Unternehmen, KI-Interessierte und Unternehmensgründer eingerichtet. Im Startup-Lab werden KI-Projekte in der Region durch die Expertise des Umwelt-Campus gezielt unterstützt und gefördert.
Im KI-Reallabor werden außerdem Demonstratoren entwickelt und ausgestellt, die KI für jeden erlebbar und erklärbar machen und die Potenziale von KI im ländlichen Raum aufzeigen, beispielsweise in Form eines smarten Bienenstocks für die Imkerei.
Gastautor: Alexander Treml
Alexander Treml hat ein Informatikstudium an der Universität Passau absolviert. Während seines Studiums war er als Mitarbeiter am Lehrstuhl für Data Science tätig. Gegen Ende seines Masterstudiums spielte er eine entscheidende Rolle bei der Ausgründung der Regiothek, einer digitalen Plattform für die Lebensmittelbranche. Heute ist er Geschäftsführer der Regiothek GmbH und verantwortlich für Innovationsprojekte im Bereich Data Science, ländliche Räume und Künstliche Intelligenz. Dazu zählen auch KI-Forschungsprojekte auf Bundesebene.
Herausforderungen und Risiken von KI-Technologien für den ländlichen Raum (SMAEG-Bot)
Regional und nachhaltig wirtschaftende Lebensmittelbetriebe könnten nicht unterschiedlicher und individueller sein. Allerdings stehen sie vor einer gemeinsamen Herausforderung: Es mangelt an Zeit für die eigene digitale Darstellung, Vermarktung und Vernetzung. Das Projekt SMAEG-Bot (Smart Eating Bot für regionale Lebensmittel) widmet sich dieser Herausforderung durch die Entwicklung von Features auf der Online-Plattform Regiothek. Die Regiothek ist eine Online-Plattform, die regionale Lebensmittelbetriebe aus Erzeugung, Verarbeitung, Handel und Gastronomie sowie Verbraucher verbindet, indem sie Lieferketten offenlegt und auf einer interaktiven Landkarte visualisiert. Sie unterstützt kleine Unternehmen aus der Lebensmittelbranche, indem sie ihre Sichtbarkeit erhöht und Konsumenten ermöglicht, regionale Produkte und deren Lieferwege transparent nachzuvollziehen.
Im Projekt SMAEG Bot kooperiert die Regiothek GmbH mit dem Lehrstuhl für Data Science der Universität Passau und dem Institut Centouris. Die im Projekt entwickelten Features ermöglichen es Betrieben, ihr Angebot unkompliziert digital zu bewerben und die digitale Kommunikation entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu verbessern. Das ist eine Herausforderung für die technische Entwicklung, denn einerseits muss eine Online-Vermarktungsplattform für Lebensmittel nutzerfreundlich und intuitiv bedienbar sein, andererseits wirken im Hintergrund KI und Algorithmen, die vielseitige Informationen analysieren, verarbeiten und daraus praktische Lösungen und Vorschläge generieren. Als Beispiel können hier KI-basierte Textvorschläge für Beschreibungen genannt werden.
Diese Vielseitigkeit wird entlang der gesamten Lebensmittelkette deutlich, denn ein Drittel der Informationen auf der Regiothek-Plattform betreffen mehrere Betriebe und sollen ohne Mehraufwand und doppelte Pflege aktuell und vollständig sein. Hier stellt SMAEG-Bot interbetriebliche Interaktionssysteme zur Verfügung, die eine kollaborative Datenpflege ermöglichen und den Aufwand für einzelne Betriebe reduzieren.
Letztlich sind auch die Nahversorgung und die Intransparenz auf dem Markt für regionale Lebensmittel für Kunden von dieser Herausforderung betroffen, denn es mangelt an Informationsangeboten, die digital abbilden, welche Produkte in der Nähe zur Verfügung stehen und wo diese erzeugt und verarbeitet wurden.
Für die Forschung und Entwicklung folgt daraus die Herausforderung, KI-Anwendungen zielgruppengerecht in die Online-Plattform zu implementieren, um daraus alltagsfähige und einfach handhabbare Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, die den Betrieben bei der Vermarktung helfen und gleichzeitig Aufwand und Kosten sparen. Regelmäßig durchgeführte, wissenschaftlich fundierte Usability-Tests stellen im Projekt SMAEG Bot einen Lösungsansatz dar, um die zielgruppengerechte Entwicklung sicherzustellen.
Chancen und Potenziale neuer KI-Technologien für den ländlichen Raum (KI-Pilot)
Potenziale für den ländlichen Raum zeigt das Projekt KI-Pilot in seinem KI-Reallabor auf. Hier werden verschiedene KI-Demonstratoren entwickelt und ausgestellt, die KI-Technologien in kleinen, aber anschaulichen Anwendungsszenarien anfassbar machen und deren Nutzen aufzeigen. Ein Beispiel dafür ist der smarte Bienenstock, eine mit Sensorik ausgestattete und in der Realität erprobte Bienenbehausung, deren Daten mithilfe von KI ausgewertet werden. Dadurch werden Imker bei der Überwachung ihrer Völker durch die ständige Verfügbarkeit von visualisierten Daten sowie ein integriertes Anomalie-Warnsystem unterstützt.
Der Umwelt-Campus arbeitet bei den einzelnen Demonstratoren auch mit Partnern aus der Industrie zusammen, so z.B. bei der Entwicklung eines intelligenten Abfallbehälters mit Füllstandserkennung. Weitere Beispiele für KI-Demonstratoren des Projekts sind die künstliche Nase, die Geruchsstoffe in Getränken identifizieren kann und im Weinbau zur Qualitätskontrolle weiter erforscht wird, oder eine Borkenkäfererkennung für die Forstwirtschaft.
Chancen und Potenziale neuer KI-Technologien für den ländlichen Raum (SMAEG-Bot)
Mithilfe KI-gestützter Features unterstützt SMAEG-Bot die betrieblichen Abläufe und vereinfacht die Datenverwaltung auf der Regiothek-Plattform. Generative Vorschläge unterstützen die Nutzer nicht nur dabei, die richtigen Angaben zu machen, sondern auch Texte wie Betriebs- und Produktbeschreibungen zu erstellen. SMAEG-Bot greift hierzu auf ein Sprachmodell zurück, das individuelle und auf die Bedürfnisse der Kunden zugeschnittene Textvorschläge generiert.
Dadurch wird es möglich, binnen weniger Minuten vollständige Profile auf der Plattform zu erstellen, die nicht nur alle relevanten Sachinformationen abbilden, sondern auch die richtige Botschaft der Marke und der Produkte der Betriebe transportieren. So bleibt den Betrieben mehr Zeit für das Kerngeschäft, egal ob es um die Erzeugung oder Verarbeitung von Lebensmitteln oder den Handel mit diesen geht.
Darüber hinaus ist jeder Betrieb Teil einer Wertschöpfungskette, die auf der Regiothek-Plattform als Karte einsehbar ist. Dort sind zuliefernde und abnehmende Betriebe dargestellt, damit Interessierte »wissen, wo´s herkommt«. Diese Transparenz in der Lieferkettenvisualisierung bietet für die Betriebe die Chance, sich neue Absatzmöglichkeiten zu erschließen und das eigene Netzwerk zu erweitern.
Auch Verbraucher profitieren von der Transparenz der Plattform, auf der die Herkunft der regionalen Lebensmittel nachvollzogen werden kann. Sollten dennoch Informationen fehlen oder nicht mehr aktuell sein, wird SMAEG-Bot proaktiv. Der digitale Assistent fragt in diesen Fällen nach, wenn etwas unklar ist. Außerdem werden KI-Methoden genutzt, um Informationslücken zu schließen.
Gastautor: Mirko Lampe
Mirko Lampe, der einen Hintergrund in International Business und IKT hat, ist durch seine langjährige Expertise in verschiedenen Branchen Experte für die digitale Transformation. Er unterstützt den SIBB e.V. als Scientific Projects Manager im SLF-Projekt und befasst sich besonders mit der digitalen Transformation in der translationalen Forschung durch KI.
Das Forschungsprojekt Stadt-Land-Fluss, kurz SLF, leistet hier einen weiteren Beitrag. Das Verbundprojekt hat sich die Erforschung und prototypische Umsetzung daten- und KI-gestützter IT-Lösungen zum Ziel gesetzt, mit deren Hilfe regionale Wertschöpfungsketten im Bereich der Land- und Ernährungswirtschaft gestärkt und aufgebaut werden können.
Die Metropole Berlin und das ländlich-peripher geprägte Brandenburg dienen dem Projekt als Modellregion. Um der abnehmenden Transparenz und zunehmenden Komplexität in globalisierten Produktionsnetzwerken Rechnung zu tragen, muss eine verlässliche datengestützte Wissensbasis geschaffen werden. Dafür wurden im Rahmen des SLF-Projekts erforderliche Datenbasen identifiziert und es wurde ein IKT-Ökosystem bestehend aus unterschiedlichen Micro-Services entwickelt, welches die Bedarfe verschiedener Akteure entlang der Wertschöpfungskette in den Blick nimmt. Integrierte Empfehlungsdienste, Matching-Funktionen und aufbereitete Angebots- und Nachfragedaten befähigen Erzeuger, Verarbeiter, Logistiker und Caterer, ihre unternehmerischen Entscheidungen nach Regionalität, Resilienz und Nachhaltigkeit auszurichten, außerdem neue Absatzwege zu erschließen und regionale Netzwerke aufzubauen.
Im Detail laufen auf dem IKT-Ökosystem vier entwickelte Komponenten: (1) die emissionsreduzierende Tourenplanung. Durch die KI-gestützte Planung soll in der Lebensmittellogistik eine signifikante Emissionsreduzierung erreicht werden. (2) die Product-Carbon-Footprint-Komponente. Hier liegt der Fokus auf der Optimierung bestehender Berechnungssysteme im Hinblick auf die stärkere Einbindung der Warenherkunft als Auswahlkriterium sowie die Berücksichtigung der menschlichen Arbeitskraft. (3) die KI-gestützte Komponente Chatbot und (4) die damit verbundene Recommender-Komponente. Die beiden letztgenannten Komponenten sollen die Nutzung digitaler Services zielgruppenspezifisch intuitiver gestalten und dadurch die Akzeptanz und Effizienz im täglichen Einsatz erhöhen.
Fazit/Ausblick
Um Nachfrage und Angebot unter Nachhaltigkeitsaspekten digital zusammenzubringen und für alle Akteure transparent und nutzbar zu machen, bedarf es einer geeigneten digitalen Infrastruktur. Eine durchgängig digitale Wertschöpfungskette ist dafür eine Grundvoraussetzung, jedoch – Stand heute - nicht gegeben. Fehlende Standards hinsichtlich durchgängiger Datenformate und fehlende offene Schnittstellen machen Investitionen in Digitalisierungsvorhaben für viele Betriebe unattraktiv, da sie Kosten und Komplexität erhöhen, Ineffizienz verursachen, eingeschränkte Skalierbarkeit bieten und die Abhängigkeit von Softwareanbietern erhöhen.
Die Projekte KI-Pilot, SMAEG-Bot und Stadt-Land-Fluss liefern innovative Lösungen, die allerdings erst mit einer breiten Nutzergruppe große Auswirkung haben. Die KI-Projekte liefern daher Teilbausteine, um die oben genannten Herausforderungen zu adressieren und somit letztendlich den ländlichen Raum auch in Zukunft attraktiv zu gestalten.
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